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UN-Blauhelme im Südsudan – Mission failed?

In Sichtweite von UN-Blauhelmen kam es im Juli 2016 zu schweren Gewalttaten gegenüber der Zivilbevölkerung. Ein Gutachten attestiert den UN-Soldaten schweres Versagen beim Schutz von Zivilisten, UN-Sonderberater Adama Dieng warnt vor einem drohenden Völkermord. Erfüllt die Mission noch ihren Zweck?

Blauhelme patrouillieren vor einer UN-Station in Juba. Doch wo waren sie, als die Gewalt eskalierte? (UN Photo/Eric Kanalstein)

Über 300 Tote, folterähnliche Handlungen, Vergewaltigungen auf offener Straße - eine Welle der Gewalt erfasste am 8. Juli die Hauptstadt Juba und hielt mehrere Tage an. „Chaotisch und ineffektiv“ hätten die zuständigen UN-Truppen gehandelt und damit „systematisch ihre Pflichten verletzt“, so der Bericht der Untersuchungskommission. Selbst aus einem nahegele­genen Hotel abgesetzte Hilferufe wurden ignoriert und eine Vergewaltigung, die in direkter Sichtweite stattfand, nicht gestoppt. Die UN-Soldaten hätten sich geweigert, zu Fuß auf Patrouille zu gehen und damit ein „risikoscheuendes Verhalten an den Tag gelegt“. Dabei sind die Blauhelme, die Teil der Friedensmission für den Südsudan (UNMISS) sind, genau für solche Fälle mit einem robusten Mandat ausgestattet (Resolution 1996 (2011)).
 

Fünf Jahre Unabhängigkeit – die Hälfte davon Krieg

Um zu verstehen, in was für einem komplexen Umfeld die Vereinten Nationen vor Ort agieren, hilft ein kurzer Rückblick: Ende 2013 stürzte das ostafrikanische Land, nur zweieinhalb Jahre nachdem es seine Unabhängigkeit erlangt hatte, in einen Bürgerkrieg. Vorausgegangen war eine Regierungskrise, in Folge derer sich Präsident Salva Kiir (Angehöriger der Dinka) mit seinem Vizepräsidenten Riek Machar (Vertreter der Nuer) überwarf. Als er ihn seines Amtes enthob, gründete Machar eine Rebellenorganisation, mit der er bis heute gegen den Präsidenten und seine Regierungssoldaten kämpft. Aus einer Auseinandersetzung um die politische Vormacht und den Zugriff auf Erdölressourcen wurde ein gewaltsamer Konflikt, der sich zunehmend entlang ethnischer Linien (Dinka und Nuer) vollzieht. Die Folge: Zehntausende Menschen haben ihr Leben verloren, fast 2,5 Millionen befinden sich nach Schätzungen des UNHCR auf der Flucht und für jeden zweiten Südsudanesen ist Hunger eine lebensbedrohliche Gefahr.

Warnung vor drohendem Völkermord

Auch ein im August 2015 zwischen beiden Parteien mühsam ausgehandelter Friedensvertrag brachte nicht die erhoffte Entspannung. Die Armee weigerte sich mit den Rebellen Frieden zu schließen. Pünktlich zum fünfjährigen Unabhängigkeitstag flammten wieder Gefechte in Juba auf, bei denen insbesondere Regierungssoldaten die eingangs beschriebenen Verbrechen begangen. Machar flüchtete außer Landes, plant jedoch bereits seine Rückkehr. Die Situation bleibt unübersichtlich: Sowohl Kiir als auch Machar wird nachgesagt, nicht mehr die vollständige Kontrolle über ihre Anhänger zu haben. Zudem hat das neu entstandene Machtvakuum sogleich andere Akteure auf den Plan gerufen. Immer mehr neue Milizen entstehen, bei denen noch keiner genau einschätzen kann, welche Interessen sie verfolgen. „Werde die Eskalation des ethnischen Konflikts im Südsudan nicht gestoppt, drohe ein Völkermord“, warnt der UN-Sonderberater für die Verhinderung von Völkermord, Adama Dieng, in einem dramatischen Appell.

Konsequenzen seitens der Vereinten Nationen

Auf dem Bild ist Hervé Ladsous zu sehen, nachdem der UN-Bericht veröffentlicht wurde.
Hervé Ladsous, Untergeneralsekretär für Friedenssicherungseinsätze, informiert nach Erscheinen des Berichts die Presse. (UN Photo/Manuel Elias)

Gerade während einer solch prekären Sicherheitslage im Land ist es unabdingbar, dass die Friedensmission auf stabilen Beinen steht, flexibel einsetzbar ist und den Schutz von Zivilisten gewährleisten kann. Insofern ist es zu begrüßen, dass unmittelbar nach den Vorfällen eine unabhängige Kommission einberufen wurde, die die Vorfälle eingehend untersuchte und schonungslos für Aufklärung sorgte. Ebenso ist es ein wichtiges Zeichen, dass UN-Generalsekretär Ban Ki-moon im Anschluss sofort die entsprechenden personellen Konsequenzen zog und den obersten Befehlshabers der UNMISS-Mission General Johnson Mogoa Kimani Ondieki entließ.

Darüber hinaus wurde bereits vier Wochen nach den Vorfällen vom UN-Sicherheitsrat die Resolution 2304 (2016) verabschiedet. Sie macht deutlich, dass auch international Handlungsbedarf erkannt wurde. Laut der Resolution soll zu den bisher etwas mehr als 13.000 stationierten UN-Soldaten eine regionale Schutztruppe von 4.000 Soldaten hinzukommen. Außerdem wird der Regierung in Juba mit Verhängung eines Waffenembargos gedroht, falls sie die Arbeit der Friedensmission behindern sollte.

Generalüberholung der UN-Mission nötig?

Der „Mangel an Führungskraft, Einsatzbereitschaft und Abstimmung“, der den UN-Blauhelmen im Bericht vorgeworfen wird, lässt sich jedoch nicht allein mit einem Austausch des Spitzenpersonals und einem Aufstocken der Truppe lösen.
Bisher ist die UN-Mission mit Blauhelmen keine homogene Streitkraft, denn die UN-Soldaten stammen aus verschie­denen Ländern und Kulturen. Sie haben unterschiedliche militärische Ausbildungen erhalten, unterliegen im Einsatz teilweise parallelen Befehlssträngen und komplizierten Strukturen innerhalb der Mission. Das macht sie für offensives und schnelles Handeln teilweise ungeeignet, obwohl dies angesichts gezielter Angriffe auf Zivilisten absolut notwendig ist. Vor diesem Hintergrund muss über eine verbesserte Ausbildung und über effektivere Kommandoketten in Notfallsituationen nachgedacht werden. Manche fordern sogar den Einsatz einer robusten Eingreiftruppe (wie z. B. im Kongo), was allerdings als sehr umstritten gilt, da es dann mehr einem Peace-enforcement- als einem Peacekeeping-Einsatz entsprechen würde. Es wird ein langer Atem nötig sein, will man die strukturellen Probleme der Mission beheben.

Handlungsbedarf dringend erforderlich

Angesichts solcher schwerfälligen Prozesse, stellt sich die Frage, warum der UN-Sicherheitsrat nicht wenigstens ein Waffenembargo verhängt, statt es nur anzudrohen. Im Wesentlichen ist dies wohl auf wirtschaftliche Eigeninteressen zurückzuführen. So verkaufte China allein im Jahr 2014, laut einem UN-Expertenbericht, dem Südsudan Waffen im Wert von 18,7 Millionen Euro. Auch von Russland hergestellte militärische Fahrzeuge und Kampfhubschrauber sollen im Einsatz sein. Sowohl China als auch Russland sind ständige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat und verfügen über ein Vetorecht.

Bei aller Kritik am Verhalten der UN-Blauhelme und des UN-Sicherheitsrats darf nicht vergessen werden: UN-Friedensmissionen sind in Bürgerkriegsregionen für die ansässige Bevölkerung häufig die letzte Hoffnung und ein wichtiger Zufluchtsort. Allein im Südsudan haben etwa 200.000 Menschen in UN-Camps Schutz gesucht. Wie viele Menschenleben UNMISS auf diese Weise gerettet hat, kann keine Statistik erfassen. Sich darauf auszuruhen, bleibt hinsichtlich der aktuellen Entwicklungen jedoch keine Option.


Maheba Goedeke Tort

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