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Internationale Strafgerichte

Mit der Einrichtung der Internationalen Strafgerichte für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda erweiterte der UN-Sicherheitsrat in den 1990er Jahren sein Instrumentarium zur Konfliktbewältigung. Unter Rückgriff auf Kap. VII der Charta wurden die Tribunale als nicht-militärische Zwangsmaßnahme zur Wiederherstellung von Frieden eingesetzt. Sie sollten Kriegsverbrechen aufklären, die Hauptverantwortlichen zur Rechenschaft ziehen und Gerechtigkeit für die Opfer schaffen. Durch Wahrheitsfindung und Aufarbeitung der Vergangenheit sollten sie die Versöhnung ehemals verfeindeter ethnischer Gruppen fördern und so zur Friedenskonsolidierung beitragen. Die Zuständigkeit beider Ad-hoc-Tribunale ist zeitlich und räumlich begrenzt und sie können nur Einzelpersonen wegen schwerwiegender Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht belangen. Unter ihre Rechtsprechung fallen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord, Verletzung der Genfer Konventionen von 1949 (u.a. Folter, Tötung, Verschleppung) sowie Verstoß gegen Gesetze und Gebräuche des Krieges (u.a. Plünderung, Einsatz von Giftwaffen). Aufgrund von Kap. VII haben sie die Befugnis, in jedem Staat zu ermitteln und die Auslieferung von Angeklagten einzufordern. Ihre Haftbefehle müssen überall befolgt werden.

Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY) mit Sitz in Den Haag soll die seit 1991 begangenen Kriegsverbrechen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien ahnden. Nach dem Beschluss des Sicherheitsrats nahm er seine Tätigkeit im November 1993 auf. Die 16 Richter in drei Strafkammern sowie einer Berufungskammer werden für vier Jahre überwiegend von der Generalversammlung gewählt. Der Leiter der Anklagebehörde – seit 2008 der Belgier Serge Brammertz – wird vom Sicherheitsrat ernannt und ist zuständig für Ermittlungen und strafrechtliche Verfolgung. Das Gericht erhob bisher Anklage gegen 161 Personen. 154 Verfahren sind abgeschlossen; 83 Täter wurden verurteilt. Im Mai 2011 wurde der seit 1995 per internationalem Haftbefehl gesuchte ehemalige Militärführer Ratko Mladic, dem schwere Kriegsverbrechen während des Bosnienkriegs vorgeworfen werden, gefasst und dem Tribunal überstellt.

Statut und Aufbau des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda(International Criminal Tribunal for Rwanda, ICTR) entsprechen weitestgehend dem des ICTY. Die Einsetzung des Tribunals mit Sitz in Arusha, Tansania beschloss der Sicherheitsrat mit Resolution 955 1994. Es verfolgt schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht im Jahr 1994, besonders das Verbrechen des Völkermords. Es wurden 93 Personen angeklagt; 62 Täter wurden verurteilt. Leiter der Anklagebehörde war zuletzt Hassan Bubacar Jallow aus Gambia. Am 20. Dezember 2012 fällte das ICTR sein letztes Urteil. Die Auflösung folgte Ende 2015.

Die Übertragung der Prozesse in den internationalen Medien sorgte für eine weitreichende Bekanntheit der Arbeit besonders des ICTY und beeinflusste nicht zuletzt auch die Rechtsprechung nationaler Gerichte und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die Erfolge der Sondertribunale verliehen auch der Gründung des ständigenInternationalen Strafgerichtshofs (IStGH) Auftrieb, der ein Jahr nach dem Inkrafttreten des "Römischen Statuts" seine Arbeit 2003 in Den Haag aufnehmen konnte. Seiner Gerichtsbarkeit unterliegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie Aggression. Der IStGH ist kein Organ der Vereinten Nationen, sondern eine unabhängige Institution, basierend auf einem eigenen völkerrechtlichen Vertrag, den bisher 123 Staaten ratifiziert haben. Beziehungsabkommen regeln die Zusammenarbeit zwischen IStGH und dem UN-Sicherheitsrat.

Die Sondertribunale erfuhren aber auch Kritik: Ihre Akzeptanz und Wahrnehmung in den betroffenen Bevölkerungen blieb gering. Die hohen Kosten der Gerichte, die aus dem UN-Haushalt finanziert werden, verhinderten außerdem die Einsetzung weiterer Strafgerichte. So wurden ab dem Jahr 2000 "Hybridgerichte" gebildet, die meist auf Vereinbarungen zwischen den UN und betroffenen Staaten beruhen. Im Unterschied zu den UN-Strafgerichten werden sie nicht als Zwangsmaßnahme beschlossen und sind daher keine Nebenorgane des Sicherheitsrats. Die Initiative geht meist von Regierungen aus, wobei Generalsekretär und Sicherheitsrat ihre Unterstützung anbieten. "Hybridgerichte" sind eine Mischung aus nationalen und internationalen Gerichten hinsichtlich der Zusammensetzung der Richter und dem geltenden Recht. Beispiele sind das Sondertribunal für Libanon, das Khmer-Rouge-Tribunal sowie der Sondergerichtshof für Sierra Leone.