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Afghanistan vor der Wahl

Ein Jahr nach dem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul ist die Sicherheitslage in Afghanistan extrem angespannt. Tausende Zivilisten sterben jährlich bei Kämpfen zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften. Umso schwerer wird es, die für dieses Jahr geplanten Wahlen umzusetzen.

Ein Mann leuchtet auf die Hand einer Frau, bevor sie einen Fingerabdruck abgibt.
Wahlen in Afghanistan 2014. (UN Photo/Fardin Waezi)

Am Morgen des 31. Mai 2017 explodierte ein mit Sprengstoff beladener Laster unweit der deutschen Botschaft in Kabul. Durch die Explosion starben laut Angaben der Vereinten Nationen mindestens 80 Menschen und mehr als 350 wurden verletzt. Der Sicherheitsrat verurteilte den Anschlag auf das Schärfste. Attacken wie diese seien eine „ernsthafte Gefahr für internationalen Frieden und Sicherheit“ heißt es in einer veröffentlichen Stellungnahme. Die deutsche Botschaft wurde so schwer beschädigt, dass das Personal evakuiert werden musste. Ein kleines Team ist in der amerikanischen Botschaft untergekommen, die Konsularabteilung wurde auf verschiedene Standorte in der Region verlegt. Ein Novum in der Geschichte des Auswärtigen Amtes: Innerhalb eines halben Jahres wurden zwei deutsche Vertretungen in einem Land durch Anschläge zerstört. Bereits am 16. November 2016 wurde das Generalkonsulat in Masar-e Sharif von der Taliban attackiert. Auch hier war eine Fortsetzung der Arbeit nicht mehr möglich, weswegen das Personal des Konsulats nun in einem Feldlager der Bundeswehr in Nordafghanistan untergebracht ist. Die Taliban rechtfertigten ihren Angriff mit der angeblich deutschen Beteiligung an Luftschlägen in der Provinz Kundus. Zwar ist die Täterschaft beim Anschlag auf die Botschaft in Kabul nicht abschließend geklärt, aber auch hier scheinen ähnliche Motive eine Rolle gespielt zu haben: Die Bundesrepublik ist nach wie vor mit knapp 1000 Soldaten in Afghanistan aktiv und damit in den Augen der Aufständischen ein legitimes Ziel.

Sicherheitslage seit Ende der ISAF-Mission deutlich schlechter

Die beiden Anschläge verdeutlichen, wie schlecht es 17 Jahre nach dem Sturz der Taliban um die Sicherheit im Land steht. Die Regierung kann weder den Schutz internationaler Partner gewährleisten, noch den der eigenen Bevölkerung. Seit 2014 befinden sich die zivilen Opfer auf einem unverändert hohen Stand. Dies hängt auch mit dem Abzug der internationalen Schutztruppe ISAF (International Security Assistance Force) zusammen. Die vom Sicherheitsrat mandatierte Kampfmission verfügte auf ihrem Höhepunkt über 130.000 Soldaten, die u.a. für den Schutz der Zivilbevölkerung verantwortlich waren. Da ein wichtiges politisches Ziel der internationalen Gemeinschaft darin bestand, diese Aufgabe dem afghanischen Staat zu übertragen, konzentriert sich die NATO-geführte Nachfolgemission Resolute Support auf Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte. Dafür stehen aktuell 13.000 Personen zur Verfügung, was gerade mal ein Zehntel der ISAF-Kapazitäten darstellt. Die Taliban konnte dies nutzen, um vor allem in ländlichen Gebieten an Einfluss zu gewinnen. Hinzu kommt, dass die Taliban zwar immer noch die dominanteste Kraft unter den Aufständischen darstellt, aber mittlerweile auch ein Ableger des Islamischen Staates (Khorasan Provinz – ISKP) zu einem unberechenbaren Faktor geworden ist. Nachdem die Gruppe 2016 erstmals einen Anschlag in Kabul verübte, gingen laut einem Bericht der Vereinten Nationen 2017 bereits 1000 zivile Opfer in Afghanistan auf das Konto des ISKP.

UNAMA begrüßt Initiative des Präsidenten

Um die afghanische Regierung zu unterstützen, besteht seit 2002 die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA), welche erst am 8. März diesen Jahres vom Sicherheitsrat mit der Resolution 2405 um ein weiteres Jahr verlängert wurde. Hauptaufgabe der Mission ist es, die Regierung bei der friedlichen Entwicklung des Landes zu helfen. Dies schließt auch die Vermittlung zwischen Regierung und bewaffneter Gruppen mit ein. Aus diesem Grund begrüßt Tadamichi Yamamoto, Sonderbeauftragter des Generalsekretärs für Afghanistan und UNAMA-Chef, das kürzlich verkündete Gesprächsangebot an die Taliban. Präsident Ghani hatte sich am 28. Februar im Rahmen einer internationalen Konferenz in Kabul dafür ausgesprochen und gleichzeitig weitreichende Zugeständnisse in Aussicht gestellt. Ghani wird dabei wohl an die erfolgreichen Verhandlungen mit der Hezb-i-Islami Gulbuddin (HIG) gedacht haben. Genau wie die Taliban ist die HIG aus dem Widerstand gegen die sowjetische Besatzung hervorgegangen und bekämpfte nach 2001 den afghanischen Staat mit seinen internationalen Unterstützern. Mehrjährige Verhandlungen haben dazu geführt, dass 2016 ein Friedensabkommen geschlossen werden konnte. Daraufhin war der Weg frei für die Transformation von einer bewaffneten Miliz zu einer politische Bewegung, was der Sicherheitsrat 2017 mit der Aufhebung der Sanktionen gegen die Gruppe honorierte. Bisher haben die Taliban jedoch alle aktuellen Gesprächsangebote abgelehnt und setzen weiter auf eine militärische Lösung. Dies spiegelt aber eher das neu gewonnene Selbstbewusstsein der Taliban wider als die wirklichen Kräfteverhältnisse. Die Vereinten Nationen beschreiben diese als ausgeglichen und sehen in den Kämpfen einen Abnutzungskrieg, der zu Lasten aller Akteure geführt wird.

Wahlen für den 20. Oktober 2018 geplant

Der Konflikt hat natürlich auch Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Staates in anderen Bereichen. Für den 20. Oktober sind Parlamentswahlen angesetzt, die bereits 2015 hätten stattfinden sollen. Aufgrund der angespannten Sicherheitslage musste der Termin immer wieder verschoben werden. Wie in anderen fragilen Kontexten steigt auch in Afghanistan die Gewalt bei Wahlen überdurchschnittlich an. Im Mai veröffentlichten die Vereinten Nationen einen Bericht, in dem bereits jetzt 23 schwerwiegende Vorfälle im Zusammenhang mit der Wählerregistrierung aufgeführt wurden. Neben mehr als 80 Todesopfern wird auch die Einschüchterung von Wahlberechtigten und Helfern beklagt. Für Yamamoto stellt dies einen „Angriff auf die Demokratie“ dar, der mit allen Mitteln abgewehrt werden muss. Aus diesem Grund wird UNAMA, wie bereits bei den Präsidentschaftswalen 2014, die unabhängige Wahlkommission bei der administrativen Durchführung unterstützten. Damals hatten die Vereinten Nationen die Wahlurnen nach Kabul transportiert und auf Wunsch der beiden konkurrierenden Kandidaten die Auszählung überwacht. Auch wenn die Taliban nach wie vor eine Teilnahme an Wahlen verweigert, bleibt zu hoffen, dass die gebündelten Anstrengungen von Regierung und internationaler Staatengemeinschaft zu einem Wahlergebnis führen, durch das sich ein Großteil der Bevölkerung repräsentiert fühlt.

Frédéric Loew

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