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Die Demokratische Republik Kongo und das blutige Erbe des Kolonialismus

Der kürzliche Tod des italienischen Botschafters Luca Attanasio im Osten der demokratischen Republik Kongo rückte die andauernde Gewalt im Land in die mediale Aufmerksamkeit. Doch für die Bevölkerung ist der Krieg schon lange zum Alltag geworden.

Eine Luftaufnahme von brennenden Häusern bei Bunia in der Demokratischen Republik Kongo
Eine Luftaufnahme von brennenden Häusern bei Bunia in der Demokratischen Republik Kongo. (UN Photo)

Die Demokratische Republik Kongo (DRK) ist nicht nur das zweitgrößte Land Afrikas, sie ist auch sehr reich an Rohstoffen wie Diamanten, Gold, Erdöl und Koltan. Doch seit der Kolonisierung 1885 ist das Land von einer Geschichte der Ausbeutung geprägt, welche der breiten Bevölkerung das Recht auf Sicherheit und Wohlstand verwehrt. Der Export von Rohstoffen macht zwar die Haupteinnahmequelle des Staates aus und könnte die Triebkraft der sozioökonomischen Entwicklung sein.  Trotz, oder gerade wegen der zahlreichen Bodenschätze liegt die DRK aber auf dem UN-Index für menschliche Entwicklung auf Platz 175 von 189.  Der erbitterte Kampf um die Kontrolle der Rohstoffe bietet die Grundlage von Korruption, Vetternwirtschaft und äußerer Einflussnahme, welche die gewaltsame Ausbeutung von Mensch und Natur bedingen.

Seit zwei Jahrzehnten leidet insbesondere der Osten des Landes – in den Provinzen Kivu und Ituri – unter Kämpfen zwischen den regulären Streitkräften der DRK, den UN-Truppen der MONUSCO-Mission und einer Vielzahl von bewaffneten Milizen. Ende Februar 2021 rückte die andauernde Gewalt im Land in die globale mediale Aufmerksamkeit: Ein Konvoi des UN-Welternährungsprogramms wurde nahe der östlichen Provinzhauptstadt Goma überfallen, wobei unter anderem der italienische Botschafter Luca Attanasio ums Leben kam. Exil-ruandische Milizen der FDLR werden von der kongolesischen Regierung für den Angriff verantwortlich gemacht. Die FDLR sind nur eine der mehr als hundert bewaffneten Gruppen, die in Kivu um den Zugriff auf Bodenschätze konkurrieren. Zusammen bilden sie die Grundlage einer Kriegsökonomie, in der Entführungen, Massaker und sexualisierte Gewalt zum Alltag gehören. Generationen von Menschen sind mit Krieg und Flucht aufgewachsen. Aktuell gelten 5 Millionen Menschen als intern vertrieben und eine Millionen als geflüchtet. Wie kam es zu dieser Spirale der Gewalt und wie könnte sie sich durchbrechen lassen?

Koloniale Kontinuität:  Kongokrise, Jahrzehnte der Dikatur und die drei Kongokriege

Die Zerrüttung der DRK über die letzten Jahrzehnte lassen sich ohne den Hintergrund der kolonialen und post-kolonialen Ausbeutung nicht verstehen. Die kurze Phase der Demokratie nach der Unabhängigkeit von Belgien 1960 unter dem ersten frei gewählten Ministerpräsidenten Patrice Lumumba endete mit dessen Ermordung durch belgische und US-amerikanische Geheimdienste 1961. Lumumba hatte kurz zuvor die UN um Unterstützung gegen die von Belgien verantwortete Abspaltung der rohstoffreichen Katanga-Provinz gebeten. Die folgende Kongokrise bildet den Hintergrund der ersten UN-Mission im Land zur Stabilisierung der neuen Regierung. Bis heute wird außerdem kontrovers diskutiert, ob der Tod des damaligen UN-Generalsekretärs Dag Hammarskjöld bei einem Flugzeugabsturz in Zambia damit zu tun hatte, dass er ein offensives Vorgehen gegen die Katanga-Separatisten anordnete.

Schließlich führte die Sicherung der geopolitischen Einflusssphäre gegen die Sowjetunion und der Zugriff auf Rohstoffe zur westlichen Unterstützung der 30-jährigen Diktatur Mobutus, die die sozioökonomische Lage der Bevölkerung weit hinter die Situation nach der Unabhängigkeit zurückwarf. Als Mobutu 1997 im ersten Kongokrieg von Rebellen unter Führung von Laurent-Désiré Kabila gestürzt wurde, hinterließ er ein Machtvakuum. Das Rebellenbündnis zerfiel schnell, Kabila fiel einem Attentat zum Opfer und sein Sohn, Joseph Kabila, übernahm die Macht. Während des zweiten Kongokriegs von 1997 bis 2003 kam es zum Einsatz der bis heute größten UN-Blauhelm Mission MONUC. In dem seit 2006 immer wieder aufflammenden dritten Kongokrieg wurde die Mission 2010 zuMONUSCO transformiert, welche sich stärker auf Friedenskonsolidierung konzentrieren soll.

Machtwechsel im Jahr 2019 – Neue Hoffnung?

Trotz offenbarerManipulationen bei der Wahl des aktuellen Präsidenten Félix Tshisekedi im Jahr 2019, gab es dennoch Hoffnung auf eine Stabilisierung des Landes. Denn zumindest war das erste Mal seit der Unabhängigkeit ein friedlicher Machtwechsel gelungen, der die autoritäre Präsidentschaft unter Joseph Kabila formell beendete. Allerdings musste Tshisekedi eine Koalition mit der Partei Kabilas eingehen, die vom irregulären Rohstoffhandeln in den östlichen Provinzen profitiert. Zwar scheint der neue Präsident bemüht politische Reformen durchzusetzen und den Einfluss bewaffneter Milizen zurückzudrängen. Tshisekedi forcierte dazu ein Friedens- und Sicherheitsabkommen mit Ruanda und Angola zur Stabilisierung des Ostens, allerdings bleibt der Einfluss der Regierung in Kinshasa rudimentär und die Sicherheitslage prekär.

Internationalisierter Bürgerkrieg und Konfliktrohstoffe

Vor diesem Hintergrund sind die andauernden Kämpfe im besonders konfliktreichen Ostkongo Teil einer langen Verkettung von äußerer Einflussnahme, Rohstoff- und Machtinteressen. Von einem Bürgerkrieg zu sprechen greift daher zu kurz. Zum einen haben sich die bewaffneten Auseinandersetzungen in den letzten 20 Jahren stark regionalisiert: Rebellen und Milizen bewegen sich grenzüberschreitend zwischen Ruanda, Burundi, Uganda, Angola und der Zentralafrikanischen Republik, wobei auch deren reguläre Streitkräfte beteiligt sind. Zum anderen sind die regionalisierten Kriegsökonomien um die Bodenschätze und Konflikte um fruchtbares Land ohne die Akteure des globalisierten Handels nicht zu denken. Private Sicherheitsfirmen, global agierende Tech-, Bergbau- oder Landwirtschaftskonzerne,Schmuggler, Finanzdienstleister und verschiedene nicht-afrikanische Regierungen sind maßgeblich am verstetigten Kongo-Konflikt beteiligt.

Besonders wichtig für die Industrie- und Schwellenstaaten ist das für Smartphones und Elektrofahrzeuge benötigte Rohstoff Koltan. Davon liegen zwei Drittel der weltweit bekannten Vorkommen in der DRK. Während der irreguläre Kleinbergbau heute für tausende Menschen die alternativlose Lebensgrundlage darstellt, schöpfen bewaffnete Gruppen die Gewinne ab, finanzieren damit ihr Überleben und den andauernden Krieg. Bereits 2003 wurden Unternehmen und Industriestaaten von den UN kritisiert, für die Aufrechterhaltung der Kriegsökonomien und unzumutbare Arbeitsbedingungen Verantwortung zu tragen. Nach schweren Minenunfällen läuft seit 2019 läuft in diesem Zusammenhang auch eine Klage gegen Tesla, Apple, Google, Dell und Microsoft. Konkret lautet der Vorwurf, dass die Unternehmen vom ausbeuterischen System des Kobalt-Abbaus wissen und es dennoch weiter stützen.

Die Grenzen des Einflusses der Vereinten Nationen

Die Verlängerung des MONUSCO-Mandates vom Dezember 2020 zeigt, dass den UN-Truppen weiterhin eine wichtige Rolle zugeschrieben wird. Die Mission soll für Sicherheit sorgen, indem sie demokratische Strukturen stärkt, eine unabhängige Justiz unterstützt und den Aufbau das Gesundheits- und Bildungssystem schützt. Zugleich sollen in enger Zusammenarbeit mit den kongolesischen Streitkräften Milizen bekämpft werden. Für die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der UN ist das oft problematisch, da Gewalt gegen Zivilisten in der Vergangenheit auch von Regierungstruppen ausging. Weiterhin fiel die Zusammenarbeit mit alten Eliten aus der Kabila-Ära oft zu Lasten der Bevölkerung und deren politischen Freiheiten aus. Dementsprechend steht der begrenzte Einfluss auf politische und wirtschaftlicheRahmenbedingungen einer Lösung des Konflikts durch die UN-Mission entgegen. Neue Ansätze zielen auf lokale Projekte und Kooperationen mit traditionellen Autoritäten, sodass die tiefer liegenden Konflikte um Land und fehlende Erwerbsmöglichkeiten besser adressiert werden können. Die verstetigten Kriegsökonomien des Landes lassen sich indes nur eindämmen, wenn der weltweite Handel mit Konfliktrohstoffen und Waffen ernst genommen wird. Die UN sollte globale Unternehmen hier viel stärker kontrollieren, damit deren Selbstverpflichtungen für transparente und „saubere“ Lieferketten nicht zur PR-Strategie verkommen.

Wasil Schauseil