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Kunst und die UN: Kreative Transformation?

Kunst ist eine universelle Sprache. Kunst kann Frieden schaffen. Kunst hat die Kraft, in Krisenzeiten zu verbinden. Durch sie können wir unserer Hoffnung auf eine bessere Welt Ausdruck verleihen, denn sie erzeugt Freiräume und kann neue Realitäten schaffen. Welche Rolle spielt Kunst bei den UN?

Kunst schmückt das Gemeindezentrum im Zaatari-Flüchtlingslager in der Nähe von Mafraq, Jordanien (UN Photo/Mark Garten).

Kunst und Politik sind seit jeher miteinander verbunden. Bereits in der Antike gab es politische Auftragskunst und gesellschaftspolitische Satire. Kunst gehört zum Widerstand wie zur Friedensarbeit. Zeitgenössische Kunst ist in Teilen hochpolitisch: Kunstschaffende machen auf Themen wie die Unterdrückung von Frauen durch das Patriarchat, das Sterben im Mittelmeer und die Klimakrise aufmerksam und schaffen oft zugleich kraftvolle und visionäre Zukunftsbilder, die Transformationsprozesse anstoßen.

Dag Hammarskjöld, der zweite UN-Generalsekretär, erklärte 1954 in seiner Jubiläumsrede im Museum of Modern Art in New York, dass internationale Politik mit dem gleichen Geist wie die Kunst angegangen werde müsse, "nämlich ohne das Rüstzeug überkommener Weltanschauungen". Weiter reflektierte er, Kunstschaffenden und Politikerinnen und Politikern sei gemeinsam, dass sie unkonventionelle Lösungen finden müssten. Doch wie schützen die UN die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks, welche Rolle schreiben die UN der Kunst in der Friedensarbeit und der nachhaltigen Entwicklung zu?
 

Freie Kunst unter Beschuss

Kunst hat die außergewöhnliche Eigenschaft Widerstand, Protest und Hoffnung ausdrücken zu können. Farida Shaheed, UN-Sonderberichterstatterin für den Bereich der kulturellen Rechte, beschreibt das Recht auf Freiheit des künstlerischen Ausdrucks als "kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit […] und ein grundlegendes Menschenrecht, das es jedem ermöglicht, seine Menschlichkeit zu entwickeln und zum Ausdruck zu bringen." Diese Freiheit und die Teilhabe am kulturellen Leben sind mehrfach durch internationales Recht geschützt: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 garantiert die Meinungs- und Informationsfreiheit und das Recht aller "sich an den Künsten zu erfreuen"; im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte erkennen die Vertragsstaaten das Recht aller an, am kulturellen Leben teilzunehmen und verpflichten sich, die "für die künstlerische Tätigkeit unverzichtbare Freiheit zu respektieren".

Doch das Recht auf Freiheit des künstlerischen Ausdrucks ist weltweit unter Beschuss: 2019 wurden 711 Vorfällen gezählt, bei denen dieses Recht in 93 Ländern verletzt oder auf andere Weise durch nationale Gesetze eingeschränkt wurde. Dabei handelt es sich meist um Zensur seitens politischer, religiöser und zunehmend auch wirtschaftlicher Akteure. Darüber hinaus wurden Inhaftierungen, Bedrohungen und Morde an Kunstschaffenden erfasst. Insgesamt werden Verletzungen der Kunstfreiheit in vielen Ländern aufgrund von Angst, Selbstzensur und Repression unzureichend gemeldet. Die Dunkelziffer der Verletzungen von Kunstfreiheit muss daher um ein Vielfaches höher angesetzt werden.
 

Frieden durch Kunst

Kunst ist als universelle Sprache von fundamentaler Bedeutung für die Völkerverständigung. Denn Frieden wird nicht durch Gewalt und Zwang geschaffen, sondern durch kulturellen Austausch und Wissensaustausch aufgebaut. Mit dieser Aufgabe ist die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) beauftragt. Zur Wahrung des Weltfriedens und der Sicherheit soll sie unter anderem den internationalen Austausch von Kulturschaffenden fördern und für die Erhaltung des Weltkulturerbes eintreten. Kreativität und Bildung werden bei der UNESCO zusammengedacht: Wenn Kreativität vom Kindesalter an gefördert wird, wird sie die Vorstellungskraft beflügeln, Neugier wecken und Wertschätzung für den Reichtum menschlicher Talente und Vielfalt entwickeln.

Durch Projekte wie der internationalen Kunst- und Bildungswoche 2020 oder Kunstprojekte für Jugendliche im Kosovo und im Libanon schaffen die UN gezielt Raum für Kunst und Kultur. Dabei findet Kunst im Bereich der Friedenserziehung und Friedenskonsolidierung Anwendung. Zwar wird seitens der UNESCO die Bedeutung von Kunst in turbulenten Zeiten mehrfach betont und sie wird als eine kraftvolle Form des Dialogs verstanden, der wiederum wesentlich für den Frieden ist. Dennoch finden friedensfördernde und -stabilisierende Kunstprojekte im Rahmen der UN nur selten und nur vereinzelt statt.
 

Kunst schafft Transformation

Mit der Agenda 2030 haben sich die UN die "Transformation unserer Welt" zum Ziel gesetzt. Bei diesem Veränderungsprozess, hin zu einer nachhaltigen Entwicklung, kann Kunst eine wichtige Funktion ausüben: Sie kann ungewöhnliche Perspektiven eröffnen, eine Plattform für Themen bieten und Dinge sichtbar machen, die oft nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Darüber hinaus können durch Kunst Zusammenhänge visualisiert werden und Menschen auf emotionaler Ebene angesprochen werden. Kunstschaffende betrachten Kunst daher als Schlüsselmedium zwischen komplexen Herausforderungen und gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren. Die Agenda selbst spricht Kunst jedoch nicht explizit an, betont aber die Wertschätzung kultureller Vielfalt und den Beitrag der Kultur zu nachhaltiger Entwicklung.

In der Praxis arbeiten einige Kunstschaffende gemeinsam mit UN-Organisationen an dem Themenfeld der nachhaltigen Entwicklung. Dadurch zeigen die UN eine gewisse Wertschätzung der Kunst für Transformation. Ein Kunstprojekt in Nigeria beispielsweise nutzt Kunst zur Förderung der SDGs, in Nepal werden die 17 SDG-Bildsymbole in eine berühmte lokale Kunstform übersetzt und in der Mongolei hilft Graffitikunst die SDGs zu fördern. Dennoch bleiben die Kunstprojekte auch hier vereinzelt und wenig koordiniert.
 

Die starke Kraft der freien Kunst

Auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft gibt es zahlreiche Bewegungen für positive Veränderungen, die oft durch die starke Kraft der freien Kunst beeinflusst werden. Diese Auswirkungen der Kunst auf Welttransformationsprozesse lassen sich nicht exakt messen und evaluieren. Fest steht aber, dass Kunst es vermag in unserer zutiefst widersprüchlichen Welt Türen zu öffnen, die für Politik und Wissenschaft verschlossen bleiben. Ein Beispiel dafür ist ein Kunstwerk von Olafur Elíasson für das er arktische Eisblöcke verschiffte und sie vor der Tate Modern in London ablegte, mit der Einladung: "Lege deine Hände auf das Eis, höre ihm zu, rieche es – und bezeuge damit die ökologischen Veränderungen die unsere Welt durchmacht". Menschen aus der ganzen Welt kamen und umarmten – zum Teil weinend – das schmelzende Eis der Arktis. Durch Kunst kann die emotionale Ebene erreicht werden, die das Potential hat, Transformationen herbeizuführen, gerade wenn es um komplexe und fundamentale Probleme geht. Durch einen verstärkten Schutz der Kunstfreiheit könnten die UN diesem Potential der Kunst für positiven Wandel eine erhöhte Wertschätzung entgegenbringen. Ein erster Schritt dafür wäre ein UN-Monitoring, bei dem Verletzungen der Kunstfreiheit weltweit erfasst werden. Auch eine verstärkte Integration der freien Kunst in die Arbeit der UN könnte dieses Potential entfalten.

Um Lösungsansätze für die globalen Probleme unserer Zeit zu finden, brauchen wir unkonventionelle, tiefgreifende und visionäre Ideen und entsprechende Transformationen. Daher haben internationale Politik und Kunst wahrscheinlich mehr gemeinsam als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Dag Hammarskjöld fasste diese Parallelen so zusammen: "Wir müssen unsere Probleme ohne den Panzer vererbter Überzeugungen oder festgelegter Formeln angehen, sondern nur mit unseren bloßen Händen und aller Ehrlichkeit, die wir aufbringen können."
 

Laura Reiner

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