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Libyen - ein unlösbarer Konflikt?

Seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Gaddafi im Jahr 2011 ist Libyen extrem fragil. Die Vereinten Nationen setzen sich mit einer politischen Mission für die Schaffung von stabilen Institutionen und Rahmenbedingungen für den Wiederaufbau des Landes ein. Welchen Problemen stehen sie aktuell dabei gegenüber und wie könnte der Transitionsprozess des Landes vorangebracht werden?

Die Flagge Libyens vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York (Juli 2016)
Die Flagge Libyens vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York im Juli 2016. (UN Photo/Loey Felipe)

Vergangenen Donnerstag reiste Bundesaußenminister Sigmar Gabriel nach Libyen und sagte der anerkannten Übergangsregierung Hilfsgelder in Höhe von 3,5 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe zu. Das ölreichste Land Afrikas ist wieder häufiger in den Schlagzeilen, denn seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Gaddafi im Jahr 2011 ist Libyen weiterhin extrem fragil: Die Rede ist von einem failedstate, in dem Milizen um Machtansprüche konkurrieren und der als Haupttransitland für afrikanische Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa gilt.

Die Vereinten Nationen setzen sich mit einer politischen Mission, der United Nations Support Mission for Libya (UNSMIL), für die Schaffung von stabilen Institutionen und Rahmenbedingungen für den Wiederaufbau des Landes ein. Der Leiter dieser Mission und VN-Sonderbeauftragter für Libyen Martin Kobler sprach sich in einem DGVN-Interview vor einem Jahr für die Schaffung einheitlicher Armeestrukturen sowie die Erarbeitung einer Verfassung aus. Diese Woche musste er vor dem VN-Sicherheitsrat eingestehen, dass der Übergangsprozess in Libyen anderthalb Jahre nach dem Abkommen von Shkirat nicht vollständig umgesetzt wurde und parallele Institutionen fortbestehen.

Welchen Problemen stehen die Vereinten Nationen in Libyen aktuell bei der Umsetzung des Abkommens gegenüber und wie könnte der Transitionsprozess des Landes vorangebracht werden? 

Zahlreiche Akteure mit zahlreichen Interessen

In Libyen existieren eine Vielzahl von Clans, Stämmen, bewaffneten Gruppierungen sowie Milizen, unter anderem der IS, die von dem Machtvakuum nach Gaddafis Tod im Jahr 2011 sowie den Waffen aus der Zeit des Bürgerkriegs profitieren. Seit 2014 konkurrieren das säkulare und international anerkannte Parlament (House of Representatives, HoR) mit Sitz in Tobruk im Osten des Landes sowie der Allgemeine Nationalkongress (GNC, weitere Hintergründe hier).

Mithilfe der Vermittlung durch den VN-Sonderbeauftragten und Leiter der UNSMIL Martin Kobler zwischen den Konfliktparteien konnte im Dezember 2015 in Shkirat (Marokko) ein wichtiges Abkommen für die politische Befriedung des Landes geschlossen werden: Das Libyan Political Agreement (LPA) sieht eine Regierung der nationalen Einheit (GNA) vor. Mitglieder dieser Regierung sollen vom neunköpfigen Präsidentenrat sowie der legislativen Kammer (bestehend aus dem HoR) ernannt werden. Große Teile des GNC sollen als beratendes Organ, dem sogenannten State Council, fungieren.

Dem HoR gelang es bisher nicht, das Quorum zu erreichen, welches erforderlich wäre, um das LPA durch eine Änderung der Verfassungserklärung zu ratifizieren. 2016 hielt es lediglich zwei Sitzungen ab, um die vom Präsidentschaftsrat unterbreiteten Vorschläge für eine Regierung der nationalen Einheit abzulehnen. Das HoR unterstützt stattdessen eine rivalisierende Regierung in der Stadt Bayda, die wie der HoR in Tobruk von General Haftar, dem Leiter der Libyschen Nationalen Armee kontrolliert wird. Außerdem erfährt das HoR Unterstützung von Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Bislang unklar ist die Rolle Russlands bei der Unterstützung Haftars: Im März erschienen Medienberichte darüber, Russland verlege Spezialkräfte in die Nähe der libyschen Grenze, was als Unterstützung des Generals gedeutet wurde.

Die Situation in Libyen bleibt weiterhin unruhig, eine bewaffnete Gruppierung versuchte im Oktober 2016 die Kontrolle über die ehemaligen Räumlichkeiten des GNC in Tripolis zu erlangen, die inzwischen vom State Council verwendet wurden. Dabei kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen den bewaffneten Gruppen.

Der aktuelle Bericht des Generalsekretärs

Auch der VN-Generalsekretär attestiert Libyen eine Verschlechterung der Sicherheitslage im vergangenen halben Jahr. In seinem Bericht von April erläutert er, dass ein großes Potenzial für weitere militärische Eskalation bestehe, da viele strukturelle Fragen weiterhin nicht adressiert würden und eine Vielzahl bewaffneter Akteure mit widersprüchlichen Agenden existiere. Gleichzeitig bekräftigt er, dass er keine militärische Lösung für Libyen geben könne. Um das Abkommen von Shkirat (LPA) voranzubringen, müssten unter anderem Fragen nach der Gestaltung des Präsidentschaftsrats sowie die Frage nach der Führung der Libyschen National-Armee adressiert werden. Das aktuell bestehende politische Patt führe dazu, dass der Präsidentenrat und die Einheitsregierung in ihrer Arbeit eingeschränkt würden und deshalb der Bevölkerung wichtige Dienste und Sicherheit nicht bieten könnten. 

Der Generalsekretär zeigt sich schockiert von der Verschlechterung der humanitären Situation im Land und der Menschenrechtsverletzungen. Bewaffnete Gruppen im ganzen Land, die Krankenhäuser oder zivile Einrichtungen bombardierten, müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Der Kampf gegen den Islamischen Staat in Sirte und Bengasi habe jedoch Erfolge erzielt.

Martin Kobler, Leiter der UNSMIL und Sonderbeauftragter für Libyen spricht zu Journalisten (Dezember 2016)
Martin Kobler, Leiter der UNSMIL und Sonderbeauftragter für Libyen spricht zu Journalisten im Dezember 2016. (UN Photo/Manuel Elias)

Einschätzung des Sonderbeauftragten

In seinem Briefing, das Martin Kobler diese Woche als Leiter der UNSMIL und Sonderbeauftragter an den VN-Sicherheitsrat richtete, äußerte er sich ähnlich: Auch wenn sich die wirtschaftliche Lage durch eine Zunahme in der Ölproduktion verbessert hätte und der IS zurückgedrängt werden konnte, so sei der politische Transitionsprozess noch lange nicht vollständig umgesetzt. Gespräche mit allen wichtigen politischen Interessenvertretern hätten nun ergeben, dass eine Roadmap für Änderungsanträge am Abkommen von Shkirat (LPA) entwickelt werden solle. Man werde jedoch an der Forderung einer Einheitsregierung sowie einheitlicher Sicherheitsinstitutionen festhalten. 

Der Sonderbeauftragte Kobler und General Haftar hätten vereinbart, dass es in Kürze Gespräche zwischen Militärbeamten aus ganz Libyen geben werde. Der nationale Sicherheitsapparat müsse vereinigt werden und die Befehlsgewalt des Präsidentschaftsrats über bewaffnete Gruppen müsse gestärkt werden. 

In seinem Briefing sprach Kobler auch die schwierige wirtschaftliche und finanzielle Situation an, in der sich Libyen befindet: Liquidität und Fremdwährungsreserven des Landes sinken, der wuchernde Schwarzmarkt befeuere Kriminalität und Gewaltakte, außerdem trage das geringe Vertrauen in den Bankensektor zu Inflation und Instabilität bei.

Ausblick

Libyen benötigt stabile Institutionen, damit national und international wieder Vertrauen in das Land aufgebaut werden kann. Dazu gehören die geforderte Einheitsregierung und eine vereinte Armee ebenso wie eine gestärkte, vereinte Zentralbank. Das Abkommen von Skhirat (LPA) muss dazu von allen politischen Akteuren implementiert werden, aktuell insbesondere vom House of Representatives in Tobruk. Der Transitionsprozess kann nur von den Libyern selbst gestaltet und umgesetzt werden, wobei die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen sie unter anderem durch UNSMIL unterstützen. Nur dann werden die geschaffenen politischen und gesellschaftlichen Strukturen die Legitimität erfahren, welche benötigt wird, damit sich alle Bürger Libyens gleichermaßen repräsentiert fühlen. Ohne stabile Institutionen wird es dem Land nicht möglich sein, Terrormilizen erfolgreich zu bekämpfen oder die Lebensbedingungen für eigene Bürger und Flüchtlinge aus anderen Teilen Afrikas zu verbessern.

Außenminister Gabriel rief im Zuge seiner Reise nach Libyen diese Woche dazu auf, die Finanzierung von Konfliktparteien in dem Land einzustellen. Außerdem sollten keine Waffen in den fragilen Staat exportiert werden.

Denn politische Stabilität in Libyen wird auch für mehr Stabilität in der gesamten Region sorgen. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte im Rahmen des G7-Gipfels, dass man Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, sowie Katar und die Türkei zur Umsetzung der politischen Prozesse miteinbeziehen müsse, da sie unterschiedliche Kräfte mit teils gegensätzlichen Positionen in Libyen unterstützen.

Wissenschaftler sind sich einig, dass neben der Einbeziehung lokaler Akteure wie Stämmen und Milizen in die Verhandlungen und Gespräche besonders regionale Akteure eine Schlüsselposition für die Lösung des anhaltenden Konflikts einnehmen. Die Nachbarländer Algerien, Ägypten und Tunesien haben letzte Woche jegliche militärische Lösung des Konflikts zurückgewiesen und sich für einen breiteren politischen Dialog ausgesprochen.

Die Vereinten Nationen haben noch einen langen Weg vor sich, um zur nachhaltigen Befriedung und Konsolidierung Libyens beizutragen. Es liegt nun an den Mitgliedsstaaten, die Bemühungen von Martin Kobler und seinem Team bei der UNSMIL zu unterstützen, bestehende Embargos umzusetzen und zum Wiederaufbau Libyens beizutragen. 

Artikel von Inger-Luise Heilmann
Der Artikel spiegelt die persönliche Sichtweise der Autorin wider. 

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