Myanmar: Zwischen geopolitischen Interessen und internationaler Anerkennung
In Myanmar geht der Widerstand eines Großteils der Bevölkerung gegen den Militärputsch weiter. Monatelange Forderungen nach internationaler Hilfe, Aufrufe an die Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P) und Beendigung von Chinas Unterstützung des Regimes sind in Enttäuschung gemündet. Friedliche Proteste gegen die Putschregierung und Arbeitsniederlegungen gehen weiter, doch gerade jüngere Demonstranten lassen sich zunehmend auch von den existierenden Rebellenarmeen militärisch ausbilden.
Die Regierung der Nationalen Einheit (NUG), bestehend aus 2020 gewählten Abgeordneten, Politikern ethnischer Minderheiten und Schlüsselfiguren der Protestbewegung, hat sich im Untergrund und Exil etabliert. Sie eröffnet den Weg zum Internationalen Strafgerichtshof und kommuniziert mit der internationalen Gemeinschaft. Streikende Beamteentziehen einerseits der Militärjunta Kontrolle und Steuern und versuchen andererseits, ein Minimum an öffentlichen Dienstleistungen wie die Stromversorgung zu gewährleisten. Hunderte von Soldaten und Polizisten haben sich dem Widerstand angeschlossen und es gibt Anzeichen auf zunehmende Rekrutierungsdefizite im mächtigen Staatsmilitär.
Anfang September formalisierte die NUG offiziell den de facto seit Monaten wachsenden bewaffneten Widerstand der neuen „Volksverteidigungskräfte“. Sie bot desertierenden Sicherheitskräften Zuflucht an und informierte die Zivilbevölkerung über Schutzmaßnahmen.
Die vom Militär verursachte humanitäre Katastrophe
Die Konsequenzen des Staatsstreichs haben inzwischen 20 Millionen Menschen in die Armut gezwungen. Das ist fast die Hälfte der Bevölkerung und Myanmars höchste Armutsquote in über 20 Jahren. Seit Februar ist laut UNHCR eine weitere Viertelmillion neuvertriebener Burmesen auf der Flucht. Der Währungsverlust liegt bei 60 Prozent. Unkontrollierter Ausverkauf von Teak, Edelsteinen und anderen Ressourcen beschleunigt die Umweltzerstörung und Korruption. Da Ressourcenabbau die Haupteinnahmequelle des Militärs bildet, werden Umweltschützer genau wie Menschenrechtsverteidiger verfolgt und tauchten sofort nach dem Putsch unter.
Insgesamt werden alle in der UNDP-Basisstudie aus dem Jahr 2017 festgehaltenen Fortschritte hinsichtlich der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) nun ins Gegenteil verkehrt. Ein Strudel aus Unterdrückung, Gewalt und wirtschaftlichem Zusammenbruch unterminiert die Krisenbewältigung, sei es der Corona-Pandemie oder des extremen Wetters angesichts Myanmars sehr hohem Klima-Risiko.
Die Streitkräfte setzen Kampfjets, Langstreckenartillerie, Panzer und Landminen gegen unbewaffnete Zivilisten, religiöse Gebäude, Krankenhäuser und Schulen ein. Taktische Drohnen aus China unterstützen Operationen gegen Protestbewegungen in Städten. Das Regime wendet Strategien zur Repression ethnischer Minderheiten nun auch im Landesinneren an, wo es erstmals und regelmäßig zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt. Wie jedes Jahr seit 1991 dokumentieren die UN einen umfassenden Katalog der Verstöße gegen Menschenrechte und Völkerrecht von Myanmars Militär.
Geopolitische Interessen verhindern die Isolation der Junta
In Asien prallen die beiden Länder mit einem guten Drittel der Weltbevölkerungaufeinander: in Form der global größten Diktatur (China), und der größten, wenn auch eingeschränkten, Demokratie (Indien). China betreibt weltweite Machtpolitik, während Indien seinen Einflussbereich größtenteils auf die Region beschränkt.
Zwischen Asiens Riesen liegt Myanmar mit seinem Reichtum an Energie, weiteren Rohstoffen und Grenzen an das jeweils abgeschottete Hinterland beider Länder. Myanmar bildet das Tor zu südostasiatischen Märkten, zum Indischen Ozean und ist zentrales Verbindungsstück in Chinas Belt-and-Road-Initiative. Neben den größten Investoren Singapur und China mit US$24.1, beziehungsweise US$21.5 Milliarden unterhält Myanmar sehr gute Wirtschaftsbeziehungen mit regionalen Partnern. Profitierend vom krisenbedingten Rückzug einiger Firmen unterzeichnete China im Mai ein US$2,5 Milliarden Kraftwerk für Flüssiggas.
Wird Myanmars Schicksal in Asien entschieden?
Trotz einer der historisch kritischsten UN-Resolutionen der Generalversammlung vom 18. Juni gegen den Staatsstreich mit 119 Stimmen bei 36 Enthaltungen, scheitert die internationale Gemeinschaft bisher dabei, der „exzessiven und tödlichen Gewalt der Streitkräfte Myanmars bei anhaltender Straffreiheit für Verbrechen“ ein Ende zu setzen. Ein unverbindliches Waffenembargo greift nicht. Die Akkreditierung des Junta-Vertreters für die UN-Generalversammlung wurde auf November verschoben.
Das Konfliktmanagement wird davon erschwert, dass zwei von fünf Mitgliedern des Sicherheitsrats (China und Russland) als Hauptwaffenlieferanten von Myanmars Militär fungieren und es mit Vetos schützen. Während westliche Waffenembargos auch nach der Aufhebung anderer Sanktionen weiterliefen, investierte Myanmar 2010-2019 US$2,4 Milliarden in Rüstungsgüter von China und Russland. Dazu lieferten Indien und die Ukraine gepanzerte Fahrzeuge und die Türkei Gewehre. Besonders dieses Jahr unterstützt Russland die Junta ostentativ mit Ministerbesuchen kurz vor und nach dem Staatsstreich zur jährlichen Militärparade, Lieferungen, sowie mit einer Einladung von Putschführer Min Aung Hlaing in russische Rüstungsfabriken im Juni.
Seit Februar verstärken die EU, Schweiz, Norwegen, Großbritannien, USA, Kanada und Neuseeland gezielte Sanktionen gegen Personen und Einrichtungen mit Verbindungen zum Militär. Nicht so Australien. Westliche Sanktionen lassen ausgerechnet die staatliche Öl- und Gasgesellschaft MOGE unangetastet. Diese größte, von Korruption durchsetzte Deviseneinnahmequelle des Militärs bringt jährlich etwa eine Milliarde Dollar ein. Chevron und Total stellten erst Ende Mai zumindest direkte Zahlungen an MOGE ein.
Das Netz von militärkontrollierten Multimilliarden-Dollar-Unternehmen, Verbindungen zum internationalen Finanzsystem, Militär, Drogenbaronen und deren singapurischen Unternehmen wurde dokumentiert. Auch einige deutsche Firmen gerieten unter Druck, ihre Geschäftsbeziehungen, Firmenanteile und Lieferketten auf Militär-Verbindungen zu untersuchen.
Keine international verbindlichen Verhaltensnormen
Angesichts dieser Interessenlage erstaunt es nicht, dass die Junta ihre Verhandlungspartner wenig respektiert. Vor der UN-Sondergesandten Schraner-Burgener prahlte die Junta, dass man Sanktionen nicht fürchte, und verwehrte sowohl Chinas als auch ASEANs Gesandten Zugang zur durch die Putschregierung abgesetzten de facto Regierungschefin Aung San Suu Kyi und der inhaftierten Regierung.
Bis heute sind Weltanschauung und Selbstverständnis in der längsten andauernden Militärdiktatur kaum erforscht. Offensichtlich ist nur, dass die Generäle reform-resistent, nationalistisch und extrem misstrauisch auf Kritik und Außenstehende reagieren. „Die Militärführung Myanmars verantwortet Massaker an Tausenden von Menschen, Zerstörung der Lebensgrundlage von Millionen, verlangt aber am Verhandlungstisch, mit Respekt als Gleichberechtigte behandelt zu werden,“ resümiert Prof. Andrew Selth, einer der wenigen Sicherheitsexperten zu Myanmar. Sechs von acht Offizieren des im Februar etablierten Militärrat SAC bildeten schon vorher die Spitze der Militärführung. Frauen sind selbstverständlich nicht vertreten.
Anerkennung der NUG Regierung
Im Anbetracht der Schwierigkeit, der Junta den Geldhahn abzudrehen, scheint es effektiver, dieser zumindest jegliche Legitimität zu verweigern und mit der NUG Regierung zusammenarbeiten. Allein die humanitäre Katastrophe verlangt schnelles Handeln via alter Exilstrukturen.
Anfang Oktober stimmte das französische Oberhaus einstimmig für die Anerkennung der NUG. Kurz darauf erkannte das EU-Parlament die NUG und ihr parlamentarisches Komitee (CPRH) „als die einzigen legitimen Vertreter der demokratischen Wünsche des Volkes von Myanmar“ an. Diese EU-Resolution stellt einen wichtigen Schritt zur Unterstützung der Bevölkerung dar, der dementsprechend empörten Protest der Junta auslöste.
Dr. Kerstin Duell