Menü

UNICEF warnt: Lage in der Zentralafrikanischen Republik spitzt sich zu

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen warnt vor einer fortschreitenden Eskalation in der Zentralafrikanischen Republik. Insbesondere die Lage von Kindern im Land sei besorgniserregend. Seit 2013 nimmt die Zahl der bewaffneten Gruppen im Land stetig zu. Hilfsarbeit findet trotz hoher Gefahrenlage statt.

MINUSCA Blauhelme bei einer Zeremonie zum UN Tag in Bangui
UN Photo/Herve Serefio

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF)  warnt vor einer Eskalation der Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik. Marie-Pierre Poirier, UNICEF-Regionaldirektorin für West- und Zentralafrika, rief dazu auf, die andauernde Gewalt gegen Kinder zu beenden, und mahnte die internationale Staatengemeinschaft, den Schutz von Kindern vor Ort nicht zu vernachlässigen.

Gemäß den Vereinten Nationen (VN) haben sich die prekäre humanitäre Situation sowie die Sicherheitslage vor Ort 2018 weiter verschlechtert. Seit Jahren gehört die Republik zu den ärmsten Ländern der Welt. Nach Zahlen der Welthungerhilfe leben 76 Prozent der Bevölkerung in Armut. Die Zahl der Binnenflüchtlinge soll sich in diesem Jahr auf 687.400 erhöht haben. Über die Hälfte der Vertriebenen sind Kinder. Nach Einschätzung von UNICEF leiden 41 Prozent der Kinder unter fünf Jahren an chronischer Unterernährung. Insgesamt sind rund 2,5 Millionen Menschen im Land auf humanitäre Unterstützung angewiesen. Eine Zahl, die angesichts weniger als fünf Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern noch erschreckender wirkt. 

Seit Jahren ist die Bevölkerung der Zentralafrikanischen Republik den gewaltsamen Zusammenstößen zahlreicher militärischer Gruppen ausgesetzt. Die Gewalt eskalierte 2013 mit dem Sturz des Präsidenten François Bozizé durch das überwiegend muslimische Séléka-Rebellenbündnis. Schnell formte sich die christliche Anti-Balaka-Miliz als Gegenbewegung. Die Anzahl an bewaffneten Gruppen im Land steigt stetig und die Bündnisse einzelner Gruppen wechseln schnell.

UN-Truppen sollen die Zivilbevölkerung schützen

Am 10.04.2014 ebnete der Weltsicherheitsrat den Weg für die Friedensmission MINUSCA (United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in the Central African Republic), welche insbesondere den Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten zum Auftrag hat. Derzeitig arbeiten in der Mission über 1.000 zivile Mitarbeitende, sowie 12.000 Polizistinnen und Polizisten und Militärs. Premierminister Simplice Sarandji bezeichnete MINUSCA als unverzichtbar für das Land. Jean-Pierre Lacroix, Leiter der UN Friedensmissionen, hatte sich im letzten Jahr für eine personelle Verstärkung der Friedensmission eingesetzt. Zuvor war MINUSCA kritisiert worden, den Menschen im Land keinen ausreichenden Schutz bieten zu können. Der Kritik hielt Premierminister Sarandji entgegen, die UN-Truppen täten alles, was innerhalb ihres Mandates möglich sei, um die Zivilbevölkerung zu schützen.

Unabhängig von MINUSCAs Truppenstärke stellt die Befriedung der Zentralafrikanischen Republik  eine erhebliche Herausforderung dar. Nach Einschätzung der International Crisis Group ist seit Ende 2016 in beinahe allen Gebieten außerhalb der Hauptstadt Bangui Gewalt ausgebrochen. 2018 wurde die Zentralafrikanische Republik im jährlichen Ranking des Fund for Peace weiterhin unter den fünf fragilsten Staaten der Erde gelistet. Die nationale Armee gilt als schlecht ausgestattet und unterfinanziert. Im Gegensatz zu ihr sollen Rebellengruppen bestens mit Waffen versorgt sein. In der Region sind große Mengen an Munition und Gewehren über den Schwarzmarkt in Umlauf. Dadurch fällt es Widerstandsgruppen leicht das verhängte Waffenembargo zu umgehen.  Zahlreiche Rebellengruppen setzen sexuelle Gewalt als Kriegswaffe ein. Trotz mehrerer Friedensabkommen nimmt die religiöse Spannung seit Konfliktbeginn dramatisch zu. Der frühere Untergeneralsekretär Stephen O’Brien warnte bereits Ende letzten Jahres vor einem drohenden Genozid.

Auch die finanzielle Situation des Staates wird trotz Hilfszahlungen der Europäischen Union und anderer Institutionen als kritisch eingeschätzt. Die frühere Ministerin Antoinette Montaigne beschrieb das Problem im Gespräch mit der Deutschen Welle wie folgt: "Die nationale Wirtschaft liegt am Boden, aber die bewaffneten Gruppen florieren wie noch nie und erheben Zölle, die eigentlich dem Staat zustünden. Der Staat hingegen kann seinen Pflichten wegen der leeren Kassen nicht nachkommen."

Hilfsarbeit findet trotz schwerster Bedingungen statt

Erst vor zwei Wochen vermeldeten die VN wieder über 100 Verletzte und 22 Tote nach Zusammenstößen in der Hauptstadt Bangui. Auch zwei Mitarbeiter von MINUSCA wurden verletzt, nachdem sie mit Steinen beworfen wurden. Im April starben bei Gefechten mit MINUSCA-Soldaten laut lokalen Quellen mindestens 21 Menschen. Zuvor waren Ende Februar mehrere pädagogische Hilfsarbeitende getötet worden. Diese waren auf dem Weg, ein Ausbildungsprogramm für Lehrerinnen und Lehrer zu beginnen. Oft müssen geplante humanitäre Einsätze aufgrund von permanenten Angriffen auf Hilfsarbeitende unterbrochen werden. Es kommt auch vor, dass Einsatzkräfte aus Dörfern und Regionen dauerhaft abgezogen werden, wenn Rebellengruppen die Kontrolle übernehmen und die Helferinnen und Helfer bedrohen. 

Auf kurze Sicht gibt es derzeit nur wenig Grund, auf Besserung zu hoffen. Dennoch gibt es Erfolge. Trotz der prekären Sicherheitslage sind zahlreiche Nichtregierungsorganisationen sowie die Flüchtlingshilfe (UNHCR), die Welthungerhilfe (WFP) und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen vor Ort aktiv. Die Welthungerhilfe stellt Nahrung für Hilfsbedürftige bereit. Außerdem wird die Regierung dabei unterstützt, ihre eigenen Programme umzusetzen.  UNICEFs Hauptziele in der Region sind es, die chronische Unterernährung zu beenden, Bildung aufrechtzuerhalten, Impfungen bereitzustellen und den Schutz von Kindern zu gewährleisten. Im letzten Jahr impften das Hilfswerk und seine Partner  mehr als 800.000 Kinder im Alter unter fünf Jahren gegen Polio. Über 26.000 Kinder, die unter chronischer Unterernährung litten, wurden behandelt. Auch die Befreiung von beinahe 3.000 entführten Kindern wurde von UNICEF unterstützt. Das Kinderhilfswerk schuf im letzten Jahr außerdem 315 Lernplätze, die 56.600 Kinder in Flüchtlingslagern erreichten. Anfang des Jahres flohen über  76.000 Menschen aus dem ländlichen Umkreis in die 40.000-Einwohnerstadt Paoua. Zusammen mit Partnern unterstützt UNICEF nun das Aufrechterhalten von Unterrichtsprogrammen vor Ort. Auch andere Hilfsorganisationen vermelden Erfolge. So konnte UNICEFs Partner Solidarités International zahlreiche Haushalte bei der Rückkehr in ihre Dörfer unterstützen.

Eine große Einschränkung der Arbeit der Hilfsorganisationen stellt jedoch weiterhin die Finanzierung dar: Nur für einen Bruchteil der geplanten Tätigkeiten von UNICEF konnten bislang Gelder gefunden werden. Das Kinderhilfswerk wies darauf hin, dass weitere 48 Millionen nötig seien, um signifikante Erfolge zu erzielen.

Jakob Schabus