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Hilferufe aus Den Haag

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat die Einleitung von offiziellen Ermittlungen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Afghanistan abgelehnt. Der offizielle Grund: Mangel an Unterstützung und Ressourcen. Ein Kommentar von Mayeul Hieramente.

Explosion unverwendbarer Munition durch US-Streitkräfte in Afghanistan.

(Foto: DVIDSHUB/Brandon Owen BIld/flickr/CC BY 2.0/1st Marine Logistics Group (Forward) disposes of expired ammunition in Afghanistan)

Die Entscheidung vom 12. April 2019 der drei Richter der Vorverfahrens­kammer ist ein Paukenschlag. Nach einem guten Jahrzehnt der Vorermit­tlungen hatte die Anklagebehörde um Chefanklägerin Fatou Bensouda eine Entscheidung getroffen. Am 30. Oktober 2017 beantragte sie die Einleitung eines formellen Verfahrens zur Aufarbeitung von schwersten Straftaten der Taliban, der afghanischen Armee sowie der US-Streitkräfte und der CIA. Ohne Verweisung eines Mitgliedstaats oder des UN-Sicherheitsrats braucht es hier – zur Vermeidung unberechtigter Ermittlungen eines „wildgewor­denen“ Chefanklägers – der Zustimmung der Vorverfahrenskammer. Diese Zustimmung wurde nunmehr verweigert.

Beängstigend ist die Begründung. So stellt die Vorverfahrenskammer fest, dass die Vorwürfe der Kammer weitestgehend belastbar sind und ausrei­chend schwerwiegen, um ein Tätigwerden des IStGH zu rechtfertigen. Allerdings fehle es aufgrund der fehlenden Kooperation an ausreichenden Erfolgsaussichten bei der Strafverfolgung. Der IStGH müsse sein begrenztes Budget auf die Fälle konzentrieren, in denen die Wahrscheinlichkeit einer strafrechtlichen Ahndung der Verantwortlichen besser sei. Eine richterliche Kapitulation vor der Macht?

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt

Die Begründung der Richter ist nicht überzeugend. Es stellt sich die Frage, ob die Richter der Vorverfahrenskammer überhaupt eine derartige Kosten-Nutzen-Kalkulation aufstellen dürfen – oder nicht vielmehr ihre vom Statut zugewie­senen Kontrollkompetenzen überschreiten. Darüber hinaus erklären die Richter, dass 680 von 699 der registrierten Opfer eine Ermittlung befürwortet hätten. In nur schwer erträglicher Bevormundung wird einen Atemzug später jedoch erklärt, dass die drohende Frustration der Opfer im Falle des Scheiterns es gebiete, von der Durchführung von Ermittlungen abzusehen. Darüber hinaus ist die Prognose eines sicheren Scheiterns der Ermittlungen nicht belastbar. Die Mühlen der internationalen Justiz mahlen langsam, sie stehen aber nicht still. Die aktuellen Entwicklungen im Sudan zeigen, dass sich die Rahmenbedingungen ändern können und selbst Staats- und Regierungschefs nicht für immer unangreifbar bleiben müssen. Darüber hinaus blendet die Vorverfahrenskammer aus, dass erst mit Einleitung eines formellen Ermittlungsverfahrens die Kooperationspflichten der Mitgliedstaaten vollständig greifen.

Das Signal, das von dieser Entscheidung ausgeht ist fatal. Während die Schwachen leicht verfolgt werden können, erstickt man die Ermittlungen gegen die Mächtigen bereits im Kern. Dass eine solche Entscheidungen getroffen wird, nachdem die USA allen Verfahrensbeteiligten an den Afghanistan-Ermittlungen persönliche Konsequenzen angedroht haben, setzt dem Ganzen die Krone auf.

Die Bundesrepublik muss handeln

Obschon die Entscheidung der Vorverfahrenskammer in der Sache unvertretbar ist, weist sie auf einen zentralen Missstand hin. Das Budget des IStGH reicht nicht aus, um als „internationales“ Strafgericht agieren zu können. Die Durchführung von Ermittlungen in allen Weltregionen ist zeit- und kostenintensiv. Nimmt man das „Projekt Weltstraf­gerichtshof“ ernst, müssen die Mitgliedstaaten handeln und die dringend notwendigen Ressourcen bereitstellen. Die Bundesrepublik Deutschland als eine der wichtigsten Unterstützerinnen einer multilateralen und auf dem Völkerrecht basierenden Weltordnung muss hier vorangehen und neben Solidaritätsbekundungen auch mehr finanzielle Mittel zusagen. Daneben sind die Mitgliedstaaten aufgerufen, die Anklagebörde proaktiv bei der Beweiserhebung zu unterstützen und auch in politisch sensiblen Konflikten eine strafrechtliche Aufarbeitung möglich zu machen.

Auch im konkreten Verfahren kann die Bundesrepublik einen wertvollen Beitrag leisten. Sie kann der Anklagebehörde durch Verweisung der Situation in Afghanistan die Einleitung von Ermittlungen ermöglichen und so die Tür dafür öffnen, dass das Leid der afghanischen Zivilbevölkerung durch ein neutrales Gericht aufgearbeitet wird. Im Falle Venezuelas haben sechs Staaten diesen Schritt gewählt und sich aktiv für Ermittlungen eingesetzt. Ein solch mutiger Vorstoß wäre auch hier möglich und ein notwendiges Zeichen an die Weltgemeinschaft, dass die internationale Strafjustiz kein zahnloser Tiger ist

Dr. Mayeul Hiéramente ist Rechtsanwalt und schreibt regelmäßig für die Zeitschrift Vereinte Nationen. Zuletzt erschien sein Kommentar Der Hegemon und das Völkerrecht – Die USA drohen dem Internationalen Strafgerichtshof.

 

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