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Ukraine-Krieg: eine völkerstrafrechtliche Einordnung

Der russische Angriff auf die Ukraine in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 2022 wird vielerorts als Völkerrechtsbruch bezeichnet. Doch können die Verantwortlichen international für Völkerstraftaten vor Gericht gestellt werden?

Im Vordergrund steht ein Mann mit einem Poster, auf dem "Stop Putin" steht, im Hintergrund sieht man Demonstrantinnen mit der ukrainischen Fahne.
Demonstration vor dem UN-Hauptquartier in New York am 27. Februar 2022, während der Sicherheitsrat tagt. (UN Photo/Loey Felipe)

Russland wird vorgeworfen, dass es mit dem Einmarsch in das Nachbarland Ukraine gegen elementare Regeln des Völkerrechts verstoßen hat – zu Recht. Doch haben sich Präsident Putin und seine Getreuen auch persönlich strafbar gemacht? Und könnten sie für Völkerstraftaten vor Gericht gestellt und im Falle einer Verurteilung mit Haftstrafen belegt werden? Der folgende Überblick bietet Orientierung.

Mögliche Strafverfolgung wegen der militärischen Intervention?

Im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess im Jahr 1946 wurde die Führungsebene des Dritten Reichs wegen Verbrechen gegen den Frieden vor Gericht gestellt und verurteilt. In der Folge verlor das strafrechtliche Verbot des Angriffskriegs auf völkerrechtlicher Ebene an Bedeutung. Selbst bei der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), der für die strafrechtliche Sanktionierung von einzelnen Personen zuständig ist, wurde zunächst darauf verzichtet, das Führen eines Angriffskriegs als solches unter Strafe zu stellen. Im Zuge einer nachträglichen Anpassung des sogenannten Rom-Status ist in Artikel 8bis das Verbrechen der Aggression eingeführt worden, welches eindeutige Verstöße gegen das Gewaltverbot der UN-Charta unter Strafe stellt. Hierzu gehört laut Definition auch die Invasion eines anderen Staates mit militärischen Einheiten. Bereits die Anordnung einer derartigen Invasion durch die Führungsspitze eines Staates unterfällt dem Straftatbestand. Da im Falle des von Präsident Putin persönlich angeordneten Einmarsches in die Ukraine kein völkerrechtlicher Rechtfertigungsgrund ersichtlich ist (wie zum Beispiel Selbstverteidigung oder ein UN-Sicherheitsrat-Mandat), liegt die Annahme einer Strafbarkeit Putins wegen des Verbrechens der Aggression nahe.

Losgelöst von der Frage, ob die Invasion den Tatbestand des Aggressionsverbrechens erfüllt, ist zu klären, ob der IStGH zuständig wäre, um strafrechtliche Ermittlungen gegen Präsident Putin einzuleiten. Der IStGH versteht sich zwar als ein internationales Strafgericht, ist allerdings grundsätzlich nicht universell zuständig. Nur wenn der UN-Sicherheitsrat eine Situation an den IStGH verweist, kann der Gerichtshof unabhängig vom Ort der Straftat tätig werden. Eine solche Resolution nach Kapitel VII der UN-Charta scheidet bereits aufgrund der bestehenden Vetomacht Russlands im UN-Sicherheitsrat aus. Der IStGH ist allerdings im Grundsatz befugt, Straftaten auf dem Territorium eines Mitgliedstaates zu ahnden, beziehungsweise Straftaten zu verfolgen, wenn der Tatortstaat zustimmt. Die Ukraine hatte eine derartige Zustimmung bereits im Jahr 2015 erteilt. Allerdings sieht das Rom-Statut für den Tatbestand des Verbrechens der Aggression Sonderregelungen vor. Unter anderem ist in Artikel 15bis geregelt, dass Ermittlungen gegen Täter aus einem Aggressorstaat, der nicht Mitglied des IStGH ist, nicht zulässig sind. Da Russland kein Mitglied des IStGH geworden ist und die ursprüngliche Unterschrift unter das Rom-Statut schon vor Jahren zurückgezogen hatte, ist der IStGH nicht befugt, strafrechtliche Ermittlungen gegen den russischen Präsidenten Putin wegen des Verbrechens der Aggression einzuleiten.

Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen?

Neben dem Tatbestand der Aggression, der einen Angriffskrieg als solchen unter Strafe stellt, kommt eine Strafverfolgung wegen etwaiger Kriegsverbrechen in Betracht. Hierbei steht nicht die (Il-)Legalität des Krieges im Vordergrund, sondern die Vereinbarkeit einzelner Kriegshandlungen mit den Regeln des humanitären Völkerrechts. Die wichtigsten Grundregeln für bewaffnete Konflikte sind in der Genfer Konvention von 1949 und den dazugehörigen Zusatzprotokollen niedergelegt. Schwerwiegende Verletzungen dieser Regelungen können als Kriegsverbrechen geahndet werden. Hierzu gehören etwa gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung oder zivile Objekte (Schulen, Krankenhäuser, etc.) oder Angriffe, bei denen exzessive Schäden für die Zivilbevölkerung zu erwarten sind. Zudem ist der Einsatz bestimmter Waffen unter Strafe gestellt. Eine strafrechtliche Bewertung fällt jedoch regelmäßig schwer, da die jeweilige Kriegshandlung aus der Perspektive des zuständigen Entscheidungsträgers zum Zeitpunkt der Handlung zu bewerten ist. Erst recht aufwendig ist der Nachweis, dass politische Entscheidungsträger bestimmte unzulässige Methoden der Kriegsführung angeordnet oder abgesegnet haben.

Sollte der Nachweis gelingen, dass der russische Präsident, die im Konflikt agierenden Generäle oder Soldaten der russischen Armee Kriegshandlungen begangen oder angeordnet haben, die gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen, wäre eine Strafverfolgung durch den IStGH denkbar. Der Chefankläger des IStGH, Karim A. A. Khan, kündigte am 28. Februar 2022 an, eine entsprechende Untersuchung einzuleiten. Er hatte im Vorfeld bereits darauf hingewiesen, dass er sich aufgrund der Erklärung der Ukraine von 2015 für zuständig hält, Kriegsverbrechen auf dem Territorium der Ukraine zu ahnden. Für die strafrechtliche Verfolgung ist es ohne Belang, dass die Russische Föderation nicht Mitglied des IStGH geworden ist. Mehr noch: Putin und seine Minister könnten sich vor dem IStGH nicht auf ihre Immunität berufen. Die Berufungskammer des IStGH hat klargestellt, dass für Verfahren vor dem IStGH Immunitäten selbst dann nicht von Bedeutung sind, wenn die Ermittlungen Staatsangehörige aus Drittstaaten betreffen.

Strafverfolgung in Deutschland?

Die Bundesrepublik Deutschland hat im Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) ebenfalls Aggressionsverbrechen (§ 13 VStGB) und Kriegsverbrechen (§ 8-12 VstGB) unter Strafe gestellt. Anders als der IStGH hat der deutsche Gesetzgeber das sogenannte Weltrechtspflegeprinzip normiert. Demnach sind die deutschen Strafverfolgungsbehörden befugt, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen auch dann strafrechtlich zu verfolgen, wenn die Tat keinen unmittelbaren Bezug zu Deutschland aufweist (§ 1 S. 1 VStGB). Dementsprechend könnten etwaige Kriegsverbrechen, die im Zuge der militärischen Intervention in der Ukraine begangen werden, auch vor deutschen Gerichten angeklagt und verurteilt werden. Deutschland wäre nur dann an einer Strafverfolgung gehindert, wenn sich der Beschuldigte auf eine völkerrechtliche Immunität berufen kann. Somit wären strafrechtliche Ermittlungen gegen den russischen Präsidenten Putin unzulässig, da diesem als Staatsoberhaupt eine Immunität vor Strafverfolgung vor nationalen Gerichten anderer Staaten zukommt. Darüber hinaus kann die Staatsanwaltschaft nach § 153f StPO unter bestimmten Bedingungen von der Strafverfolgung absehen.

Eine strafrechtliche Verfolgung wegen des Führens eines Angriffskrieges ist in Deutschland grundsätzlich ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat das Weltrechtspflegeprinzip bewusst nicht auf den Tatbestand der Aggression erstreckt (§ 1 S. 2 VStGB). Mangels unmittelbaren Deutschlandbezugs wird eine strafrechtliche Verfolgung des Einmarsches in die Ukraine als solcher nicht in Betracht kommen.

Mayeul Hiéramente

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