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Libyen am Scheideweg: ein geteiltes Land im Transistionsprozess

Seitdem das Regime Muammar Gaddafis im Jahr 2011 gestürzt wurde, ist Libyen auf der Suche nach Frieden und Stabilität. Die Vereinten Nationen um ihren Sondergesandten Martin Kobler unterstützen diesen Prozess. Trotz einiger Fortschritte, die zuletzt erzielt wurden, ist die Zukunft immer noch ungewiss.

Libysche Demonstranten in Tripolis im Dezember 2011
Libysche Demonstranten im Dezember 2011 in Tripolis. (UN Photo/Iason Foounten)

Fünf Jahre nach dem Fall von Muammar Gaddafi ist Libyen in Chaos und Bürgerkrieg versunken. Das Land ist gespalten, im wahrsten Sinne des Wortes: Zwei konkurrierende Administrationen, zwei Zentralbanken und zwei nationale Ölgesellschaften ringen um die politische, wirtschaftliche und territoriale Vorherrschaft. In das entstandene Machtvakuum hat sich Daesh (auch bekannt als sogenannter Islamischer Staat) geschlichen und inmitten der fehlenden Ordnung ist Libyen zu einem Haupttransitland für Flüchtlinge Richtung Europa geworden. Um das Schicksal des ‚failed state’ (englisch für gescheiterter Staat) doch noch umzukehren hat der Deutsche Martin Kobler, seit Oktober 2015 Sondergesandeter Vereinte Nationen (VN), Ende 2015 das Libysche politische Abkommen (Libyan Political Agreement: LPA) zwischen den rivalisierenden Fraktionen vermittelt. Nach langem Stillstand war die Verabschiedung des Abkommens ein positives Signal, doch zeigt der bestehende Widerstand, dass der Weg zu einem nachhaltigen Frieden noch beschwerlich und weit ist, ein Scheitern nicht ausgeschlossen.

Hintergrund

Nach dem Tod Muammar Gaddafis übergab der Nationale Übergangsrat 2012 die Macht an den Allgemeinen Nationalkongress (General National Congress: GNC), das erste gewählte Parlament nach Gaddafis Herrschaft mit Sitz in der Hauptstadt Tripolis. Doch das neue Parlament zeigte sich anfällig für islamistische Strömungen und unfähig die vielen Milizen, die gegen Gaddafi zu den Waffen gegriffen hatten, unter Kontrolle zu bringen. Im Juni 2014 wurde daraufhin ein neues, säkulares Parlament gewählt: das Repräsentantenhaus (House of Representatives: HoR). Um der Entmachtung zu entgehen, besetzte der GNC mit Unterstützung seines militärischen Flügels die Hauptstadt Tripolis. Das HoR wurde gezwungen nach Tobruk, eine Stadt im Osten des Landes, zu fliehen. Seither ist das Land gespalten: West-Libyen wird von dem islamistischen und international nicht anerkannten GNC kontrolliert, während der Osten Libyens von dem bis zum Friedensabkommen international anerkannten HoR regiert wird. Im Zentrum des Landes hat sich zudem Daesh in und um die Hafenstadt Sirte festgesetzt. Trotz bedeutender Gebietsverluste hält Daesh immer noch ein 250 Quadratkilometer großes Gebiet. Libyen hat strategische Bedeutung für die Terrormiliz. Das Land wird genutzt, um ausländische Kämpfer zu rekrutieren; die unzähligen Waffen abzugreifen, die seit dem Bürgerkrieg gegen Gaddafi in dem Land zirkulieren; von etablierten Schmuggelrouten zu profitieren; Zugriff auf die Ölfelder zu gewinnen und historische Denkbauten zu plündern.

Eckpunkte des Friedensvertrag

Das am 17. Dezember 2015 von Delegierten der beiden rivalisierenden Parlamenten unterzeichnete, und von VN-Sondergesandtem Martin Kobler vermittelte LPA sieht eine Regierung der nationalen Einheit (Government of National Accord: GNA) vor. Im ersten Schritt wurde ein neunköpfiger Präsidentenrat (Presidential Council), angeführt von Premierminister und GNC-Mitglied Fayez Serraj, ins Leben gerufen. Trotz seiner Mitgliedschaft zum GNC gilt er als neutraler Kandidat, der beiden Seiten zu vermitteln ist. Unter dem Friedensabkommen wird das international anerkannte und in Tobruk sitzende HoR die legislative Kammer Libyens. Der GNC hingegen wird als zweite Kammer in Staatsrat (State Council) umgetauft und in Zukunft beratende Funktionen ausüben, darüberhinaus besitzt es bei Gesetzesverabschiedungen ein Vetorecht. Nach Ausarbeitung und Inkrafttreten einer neuen Verfassung soll es freie Wahlen geben. Trotz der Unterzeichnung durch Vertreter beider Parlamente ringt die Einheitsregierung weiterhin um Legitimität. Hardliner aus beiden Fraktionen stehen dem Abkommen mit großem Unmut gegenüber.

UNSMIL

Die Vereinten Nationen sind primär durch UNSMIL (UN Support Mission in Libya) und den VN-Sondergesandten Martin Kobler in den politischen Prozess involviert. Als politische Mission ist UNSMIL in vermittelnder, beratender und unterstützender Mission unterwegs. Eine militärische Komponente gibt es nicht. Stattdessen versucht UNSMIL die klassischen Funktionen des Mediators und Ratgebers einzunehmen. So hat Kobler das LPA mit den Konfliktparteien erarbeitet und zwischen diesen vermittelt. Zudem überwacht UNSMIL die Einhaltung der Menschenrechte, unterstützt den Aufbau und Erhalt von Schlüsselinstitutionen (z.B. Militär), die Einhaltung des Waffenembargos und die Bereitstellung von humanitärer Hilfe. Das aktuelle Mandat von UNSMIL wurde vom Sicherheitsrat Mitte Juni erteilt und gilt für sechs Monate. Erklärtes Ziel ist die Konsolidierung der Einheitsregierung und eine permanente Präsenz von UNSMIL in Libyen aufzubauen. Aktuell operiert die Mission von Tunesien aus.

Internationale Bemühungen

Insbesondere seit in Europa der große Flüchtlingszustrom ins Bewusstsein gerückt ist und sich Daesh zu einer immer größeren Bedrohung in Libyen entwickelt hat, haben sich internationale Bemühungen, Libyen zu stabilisieren, intensiviert. Mitte Mai trafen sich wichtige Interessenvertreter, darunter Einzelstaaten und internationale Organisationen wie die EU, UN, Afrikanische Union und Arabische Liga in Wien. In einem Kommuniqué unterstützten sie das Vorhaben der Einheitsregierung, einen Antrag auf Lockerung des Waffenembargos zu stellen, damit ihr nahestehende Milizen Daesh effektiver bekämpfen können. Das Kommuniqué ist sehr deutlich in der Anerkennung der Einheitsregierung, welche als einzig legitime Regierung Libyens bezeichnet wird.

Widerstände der Fraktionen

Doch ungeachtet der internationalen Unterstützung fehlt der Einheitsregierung weiterhin dringend benötigte Legitimität. Mit dem Ergebnis, dass es aktuell drei konkurrierende Administrationen in Libyen gibt. 

Am 30 März 2016 gelangten sieben der neun Mitglieder des Präsidentenrates auf dem Seeweg nach Tripolis. Sie schlugen ihre temporäre Basis in einem Marinestützpunkt am Hafen auf. Der GNC hatte dem Präsidentenrat zuvor die Einreise über den Luftweg verweigert und mit Konsequenzen gedroht, sollte der Rat Tripolis betreten. Am 7. April hat der GNC den Machtanspruch der Einheitsregierung zurückgewiesen und damit seine vorherige Zustimmung verworfen. Gleichzeitig hat das HoR immer wieder die geplante Abstimmung über den Friedensvertrag vertagt und so das Abkommen bis heute nicht offiziell unterstützt. Die fehlende Unterstützung zeigt, dass Schlüsselkonflikte weiterhin ungelöst bleiben. Das HoR ist besorgt über die salafistische und islamistische Ausrichtung des GNC und verweigert sich deswegen der Kooperation. Hingegen fordert der GNC den Ausschluss des mächtigen General Khalifa Haftar, welcher die Libysche Nationale Armee anführt und das HoR unterstützt. Gerade wegen seiner polarisierenden Stellung sieht das Friedensabkommen für General Haftar deswegen keinen begehrten Posten (Verteidigungsminister oder Oberbefehlshaber der Streitkräfte) in der neuen Administration vor. Mitunter aus diesen Gründen lehnt General Haftar die Einheitsregierung ab und macht seinen Einfluss bei Parlamentariern des HoR geltend, um eine Abstimmung über den Friedensvertrag zu verhindern.

Der Kampf gegen Daesh als Schlüsselereignis

Alle rivalisierenden Fraktionen betrachten den Kampf gegen Daesh als einen optimalen Weg um internationale Aufmerksamkeit und Anerkennung zu erhalten. Sirte zu befreien ist ein Preisgeld, das es zu gewinnen gilt. Aus diesem Grund kämpfen etliche militärische Gruppierungen unter dem Schirm einer der drei Fraktionen gegen Daesh. Jedoch gibt es keinerlei Absprachen zwischen den Fraktionen. Stattdessen hat jede ihr eigenes Kommandozentrum. Die Gefahr ist groß, dass ohne jede Absprache und Koordination der Kampf gegen Daesh früher oder später zum Konflikt zwischen den rivalisierenden bewaffneten Gruppen wird und so der Bürgerkrieg wieder neu entfacht wird. Sollte es andererseits gelingen Kooperationsmechanismen unter Führung der Einheitsregierung zu etablieren, könnten dies erste integrierende Schritte in Richtung Frieden werden.

Zusammenfassung

Friedensverhandlungen und -prozesse sind dynamisch und deswegen undurchsichtig. Auf zwei Schritte vor folgt einer zurück und einer zur Seite. In Libyen ist das nicht anders. Die UN hat ganze Arbeit geleistet, ein Friedensabkommen auszuhandeln. In den seltensten Fällen wird ein solches problemlos umgesetzt. In Libyen bleibt der Ausblick für Frieden und Ordnung allerdings mit einem großen Fragezeichen versehen. Trotz vielfältiger, internationaler Unterstützung wird die Einheitsregierung von den entscheidenden innenpolitischen Akteuren nicht anerkannt. Dabei besteht die Gefahr, das sie im drei-Fronten-Konflikt - politisch mit den Regierungen im Westen und Osten des Landes sowie militärisch gegen Daesh - aufgerieben wird. Libyen zeigt, dass Mediation oder das „good office“ der VN ein wichtiger Faktor der internationalen Diplomatie ist. Doch solange Konfliktparteien davon überzeugt sind ihre eigene Verhandlungsposition verbessern zu können beziehungsweise einen besseren Deal herausarbeiten zu können wird ein substantieller politischer Erfolg, dass heißt eine einzige legitime Administration und ein Ende der Kämpfe auf sich warten lassen.

 

Simon Leuschner

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