Schlechte Aussichten: Der lange Kampf für eine unabhängige Westsahara
Der Konflikt in der Westsahara ist einer der ältesten und gleichzeitig am wenigsten bekannten der Welt: Seit die spanische Kolonialmacht das Gebiet im Jahr 1975 verließ, ist die Zugehörigkeit des 1,000 Kilometer langen Wüstenstreifens am Atlantik ungeklärt. Die Westsahara besitzt reiche Fisch- und Phosphorvorkommen, aber kaum Infrastruktur und ist zudem recht dünn besiedelt.
Die Sahrawi, die lokale Bevölkerung, fordern einen eigenen unabhängigen Staat. Dazu gründeten sie 1975 die Unabhängigkeitsbewegung „Polisario-Front“ (Frente Popular de Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro) welche den Staat „Demokratische Arabische Republik Sahara“ proklamierte und bis heute die politische und militärische Organisation der Sahrawi ist. Marokko dagegen hält an seinem historischen Gebietsanspruch über die Westsahara fest. Die aus dieser Unstimmigkeit resultierende militärische Auseinandersetzung verfuhr sich in den 1980ern ohne Sieger. Schließlich errichtete Marokko 1984 einen 2.700 Kilometer langen Sandwall, der Kampfhandlungen eindämmte und bis heute das Gebiet aufteilt: die westlichen zwei Drittel sind von Marokko kontrolliert, das östliche Drittel von Polisario für die Sahrawi.
In der Zwischenzeit floh der Großteil der Sahrawi-Zivilbevölkerung in Flüchtlingslager bei Tindouf in Algerien. UNHCR geht heute davon aus, dass 170.000 Sahrawi in den Lagern leben. Marokko dagegen siedelte im Zuge des sogenannten „Grünen Marsch“ 1975 circa 350.000 Zivilisten in das Gebiet der Westsahara um. Ein zentrales nationalistisches Symbol, was zu 30 Jahren politischem Stillstand in der Konfliktlösung beigetragen hat.
Warum hält Marokko an dem Gebietsanspruch fest?
1991 vermittelte die UN einen Waffenstillstand sowie die Durchführung eines Referendums darüber, ob die Westsahara ein unabhängiger Staat oder Teil Marokkos sein soll. Um dieses durchzuführen wird MINURSO (United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara) durch Resolution 690 ins Leben gerufen. Jedoch können sich bis heute die beiden Konfliktparteien nicht über das Format des Referendums einigen: Polisario zufolge sollten diejenigen, die Ende der spanischen Kolonialmacht in Westsahara gelebt haben, sowie deren Nachkommen, abstimmen können. Marokko hingegen möchte zusätzlich die im Gebiet lebenden marokkanischen Migrantinnen und Migranten einbeziehen. Die geschätzt 100.000 Stimmen, welche die Positionen unterscheiden, wären für das Ergebnis des Referendums entscheidend.
Die Westsahara ist unter anderem wirtschaftlich und geopolitisch hochrelevant: Geschätzte 70 Prozent des Phosphorvorkommens der Westsahara liegen in den von Marokko kontrollierten Gebieten. Weltweit haben Marokko und die Westsahara quasi eine Monopolstellung für den Rohstoff, der für die Herstellung von Düngemittel und damit moderne Lebensmittelherstellung, essenziell ist. Zusätzlich sind die reichen Fischereigründe momentan unter Kontrolle Marokkos. Die EU importiert aus den Gewässern des umstrittenen Gebiets, trotz eines Urteilsspruchs des EuGH 2016, der dies ohne Zustimmung der Sahrawi als völkerrechtswidrig erklärt. Es werden Öl- und Gasvorkommen vor der Küste vermutet, die wegen des anhaltenden Konflikts bisher nicht erkundet werden können. Die Westsahara ist aufgrund der Grenzschließungen zu Algerien die einzige Landroute aus Marokko auf den afrikanischen Kontinent, welche für die Ambition Marokkos, die wirtschaftliche Verbindung Afrikas und Europas zu werden, logistisch zentral ist.
Stillstand – Frust – Konfrontation
Am 13. November 2020 kündigte der Führer der Polisario, Brahim Ghali, das Waffenstillstandsabkommen von 1991 auf: Auslöser war offiziell das Eindringen marokkanischer Truppen in eine demilitarisierte Pufferzone bei Guerguerat, um den Landweg nach Mauretanien zu öffnen. Die Nachrichtenlage darüber, in welchem Ausmaß seitdem gekämpft wird, ist unklar. Offizielle marokkanische Statements sprechen von einem „fiktiven Krieg“, die Lage sei unter Kontrolle. Polisario erklärt wiederum, regelmäßige Angriffe auf marokkanische Einheiten durchzuführen. Der Zugang zur Region ist Journalistinnen und Journalisten verwehrt.
Der erneute Griff zu den Waffen der Sahrawi ist nicht überraschend: Gerade in der jungen Generation, die in Flüchtlingslagern aufgewachsen ist und keinerlei Zukunftsperspektive hat, baut sich Frust und auf. Das Vertrauen in den politischen Prozess ist durch immer wieder scheiternde Verhandlungsversuche sowie die Wahrnehmung eines unfairen Systems zugunsten Marokkos geschwunden. Zuletzt brachte UN-Sondergesandter Horst Köhler Polisario und Marokko in den Jahren 2018 bis 2019 zusammen. Ziel der Gespräche war es, eine gerechte und für beide Seiten annehmbare politische Lösung zu finden, die die Selbstbestimmung des Volkes der Westsahara ermöglicht. Seit Köhlers Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen im Mai 2019 ist die Position unbesetzt und der Prozess liegt erneut brach. Auf bisher vorgeschlagene Kandidatinnen und Kandidaten konnten sich die Konfliktparteien wegen jeweils vorgeworfener Präferenzen nicht einigen.
Die USA beziehen klar Position für Marokko
Am 11. Dezember 2020 twitterte der damalige US-Präsident Donald Trump, die USA erkenne als erstes Land offiziell die Souveränität Marokkos über die Westsahara an. Zeitgleich kündigte Marokko die Normalisierung seiner Beziehung zu Israel an und legte damit einen diplomatischen Geniestreich hin: Die Anerkennung des Anspruchs auf die Westsahara sowie die Unterstützung für die Position durch die USA, inklusive ihres Vetorechts im UN-Sicherheitsrat, ist nun an die marokkanisch-israelisch Beziehung geknüpft. Somit werden die USA in Zukunft Druck der UN zugunsten Polisario blockieren und Marokko kann sich – zumindest auf internationaler Ebene – in seiner Position in Sicherheit wägen. Es ist unwahrscheinlich, dass Biden den Schritt zurücknehmen wird, um die Beziehungen zu Israel nicht zu gefährden. 84 Staaten haben bisher die Westsahara als unabhängigen Staat anerkannt. Sie ist volles Mitglied der Afrikanischen Union. Die UN definiert das Gebiet als „Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung“.
Christoph Heusgen, dauerhafter Entsandter Deutschlands in den UN in New York, kritisierte die Entscheidung der USA im Sicherheitsrat im Dezember 2020. Unbestätigte Medienberichte Anfang März 2021 besagen, Marokko stelle darüber verärgert seine Beziehungen zur deutschen Botschaft in Rabat ein.
Durch die jüngste Eskalation ist es Polisario gelungen, neue Aufmerksamkeit zu gewinnen und eine Brisanz in der Konfliktlösung zu suggerieren. Marokko jedoch hat – solange die militärischen Kosten gering bleiben – kein Interesse an einem Referendum und kann dies mit amerikanischer Unterstützung sicher und dauerhaft blockieren. Die momentan einzige realistische Lösung des Konflikts ist ein neu verhandeltes Autonomieabkommen mit Marokko, doch auch hier hat das Königreich wenig Anreiz den Sahrawi entgegenzukommen.
Tonja Klausmann