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Wem gehört der Nil? Die Auseinandersetzung um die äthiopische GER-Talsperre

Zwischen unklarer internationaler Vertragslage und scharfer nationalistischer Rhetorik steht für Äthiopien, Sudan und Ägypten mit der Inbetriebnahme der Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre viel auf dem Spiel. Ein regionales, afrikanisches oder internationales Problem?

Der Nil begrünt in der ägyptischen Wüste die Ufer.
Ägypten sieht durch den Damm seine Le­bens­­ader in Gefahr und droht mit allen Mit­teln, seinen Zugang zu Wasser zu verteidi­gen.

(Foto: Jiseon Shin/flickr/CC BY-NC-ND 2.0/"Nile River")

Im Blauen Nil fließen 85 Prozent des gesamten Nilwassers und ein Großteil davon hat seinen Ursprung in Äthiopien. Dennoch hat Äthiopien – laut Verträgen, die Ägypten und Sudan untereinander geschlossen haben – nur minimale Wassernutzungsrechte. 2011 kündigte das Land dennoch den Bau der Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre (GERD) an. Das Projekt soll die Modernisierung des Landes tragen. Mit einem Stauseevolumen von ca. 70 km3 (zum Vergleich, der Bodensee misst 48km3) soll der GERD den Strombedarf ganz Äthiopiens abdecken.

Ägypten wiederum hängt für 90 Prozent seines Wasserbedarfs vom Nil ab und sieht den Damm als Bedrohung der nationalen Sicherheit, sollten durch die Stauung die Pegelstände absinken. Bereits jetzt wird erwartet, dass Ägypten bis 2025 unter die UN-definierte Grenze der absoluten Wasserknappheit sinken wird.

Zahlreiche regionale und internationale Verhandlungsrunden führten zwar zu weitgehenden Annäherungen, jedoch keiner Einigung über die Nutzung des Damms. Geklärt ist diese inzwischen unter regulären klimatischen Bedingungen. Unklar ist nach wie vor, wie viel Wasser Äthiopien im Falle einer anhaltenden Dürre stauen darf. Ägypten möchte eine garantierte Wassermenge festlegen, die ihm jährlich zur Verfügung steht. Äthiopien wünscht sich eine flexiblere Lösung und befürchtet im Falle einer anhaltenden Dürre den Pegel im Staubecken zu tief absenken zu müssen. Auch können sich die Parteien noch nicht einigen, wie Konflikte bezüglich des Dammes gelöst werden sollen. Ägypten und Sudan wünschen sich zwingende internationale Mediation – Äthiopien wehrt sich dagegen.

Mit Beginn der Regenzeit im Juni 2020 leitete Äthiopien die erste Testphase des Damms und eine teilweise Füllung des Staubeckens ein. Der ägyptische Präsident Abdel Fatah al-Sisi sieht in dem von Äthiopien unilateral getroffenen Schritt einen Verstoß gegen internationale Verträge und schaltete den UN-Sicherheitsrat ein, um einen potenziellen internationalen Konflikt zu vermeiden.
 

Eine kurze Geschichte des Nilwassers

1902 verpflichtete sich Äthiopien gegenüber der britischen Krone – damals Kolonialmacht in Ägypten – keine Bauwerke am oberen Nil zu errichten, die den weiteren Wasserfluss beeinflussen könnten. Äthiopien argumentiert, dass dieser Vertrag mit Ende der Kolonialzeit seine Gültigkeit verloren hätte. Ägypten sieht dies anders und behält sich ein Vetorecht für jegliche Bauprojekte am oberen Nil vor. In 1929 und 1959 geschlossenen Verträgen zwischen Ägypten und Sudan teilten die beiden Staaten die vom Nil verfügbare Wassermenge zwischen sich zur Nutzung auf – ohne die Einbeziehung der weiteren neun Nilanrainer.

Aus ägyptischer Perspektive ist Äthiopien mit zwischen durchschnittlich über 100cm Regenfall im Jahr nicht auf die Nutzung des Nilwassers angewiesen – Ägypten hat zwischen 0,2 und 2cm. Äthiopien auf der anderen Seite erhofft sich in der Realisierung des GERD einen Entwicklungsschritt, den Ägypten bereits 1970 mit dem Bau des Assuan-Damms getan hat: Nur ca. 35 Prozent der äthiopischen Bevölkerung haben zuverlässigen Strom- und Wasserzugang, in Ägypten sind es nahezu 100 Prozent. Mit der durch den Damm generierten Energie könnte zusätzlich Äthiopiens Industrie in Gang gebracht werden und günstiger Strom an Nachbarländer verkauft werden. Des Weiteren könne der Damm zur Sicherheit in der ganzen Region beizutragen: Überschwemmungen könnten verhindert und landwirtschaftliche Bewässerung – auch in Sudan und Ägypten – besser kontrolliert werden.

Der GERD ist inzwischen weit über die pure Wasserverteilung hinaus politisiert: In Äthiopien ist er das Symbol des Fortschritts, seine Inbetriebnahme soll Premierminister Abiy Ahmed die Wiederwahl 2021 sichern und Äthiopiens regionalen Einfluss stärken. Dieser schwindet für Ägypten seit 2011 zunehmend und Präsident al-Sisi muss Gesicht wahren, nachdem er bereits seine Ankündigung, den Bau des Damms mit allen Mitteln zu verhindern, nicht realisieren konnte.
 

Karte vom Nilverlauf durch Äthiopien, Sudan und Ägypten.
Der GERD wird knapp 20 Kilometer vor der äthiopisch-sudanesischen Grenze errichtet.

(Abb.: Hel-hama/Wikipedia/CC BY-SA 4.0/"Nile River Map")

Es gibt konkrete Lösungsvorschläge, die es beiden Regierungen ermöglichen würden, einen Erfolg zu erzielen. Die International Crisis Group schlägt einen Übergangsvertrag vor, der die Wasserverteilung über die nächsten zwei Jahre regeln würde, um in der Zwischenzeit Vertrauen aufzubauen und Erfahrungen zu sammeln. Äthiopien hat bereits angeboten, die Befüllung des Staudamms langsamer als ursprünglich geplant anzugehen – da sowieso eine Lücke zwischen produziertem und konsumiertem Strom erwartet wird. Kevin Wheeler vom Institut für Klimawandel an der Universität Oxford betont, dass Ägypten in der aktuellen Planung des Dammes keine akute Wasserknappheit zu befürchten habe. Es sei dementsprechend besser beraten, seine aggressive Rhetorik Äthiopiens gegenüber zu reduzieren, um einen konstruktiven Grundstein für zukünftige Zusammenarbeit zu legen.
 

Ein Thema für den UN-Sicherheitsrat?

Laut Artikel 34 der UN-Charta dürfen Staaten Themen an den Rat herantragen, wenn diese zu internationalen Spannungen oder Konflikten führen könnten. Mit dem Argument, dass der Damm und besonders Äthiopiens Alleingang in dessen Befüllung die Sicherheit der Region bedrohe, appellierte der ägyptische Außenminister Sameh Shoukry am 29. Juli an den Sicherheitsrat: Jegliche unilaterale Aktivität müsse unterbleiben, bis eine Einigung zwischen den beteiligten Ländern gefunden sei. Der äthiopische UN-Botschafter Taye Atske-Selassie kritisierte die Entscheidung des Rates, das Thema zu hören, scharf. Der Sicherheitsrat sei nicht dafür da, diplomatischen Druck auszulösen. Verhandlungen zwischen den drei Ländern unter Mediation der Afrikanischen Union (AU) seien im Gange. Es müsse eine gemeinsame regionale Lösung gefunden werden.

In seinem abschließenden Statement erklärte der Rat, dass jegliches weitere Verfahren mit dem Damm auf Basis einer Einigung zwischen den drei Ländern basieren solle und verwies auf die laufenden Verhandlungen unter Leitung der AU. Somit ist der Konflikt nach unterschiedlichen internationalen Verhandlungen – auch unter Mediation der EU, der USA und der Weltbank – auf die regionalen Ebene zurückgekehrt.

Eine wichtige Rolle der internationalen Gemeinschaft könnte jedoch sein, ein vorübergehendes Abkommen mit Garantien abzusichern, um mangelndes Vertrauen zwischen den Parteien zu überbrücken. Dieses muss nicht nur zwischen den drei vom GERD betroffenen Ländern, sondern zwischen allen elf Nilanrainern dringend aufgebaut werden: Der GERD wird nicht die letzte Herausforderung mit Hinblick auf die Nutzung von Nilwasser in den nächsten Jahren sein. Weitere Stauprojekte und durch Klimawandel ausgelöste niedrige Pegelstände werden gemeinsame regionale Lösungen brauchen. Ein Kompromiss über das Management des GERD kann ein Muster für zukünftige Zusammenarbeit prägen.
 

Tonja Klausmann

Weitere Informationen:

Deutscher Bundestag: "Der Grand Ethiopian Renaissance Dam – Wasserpolitik der Anrainerstaaten des Nils", Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste, 24. Februar 2020

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