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Der Konflikt in Libyen und die UN

Der Konflikt in Libyen gerät seit dem Jahr 2011 immer mehr in Vergessen­heit. Es stehen sich zwei libysche Regierungen, eine Reihe von bewaffneten Milizen und inter­nationale Akteure, die auf Libyens Boden ihre Interessen ver­folgen, gegenüber. Zahl­reiche Ver­mittlungs­formate und Waffen­ruhen sind gescheitert. Während die inter­nationale Gemein­schaft zer­stritten und ratlos über die Lösung des Konflikts ist, verschlechtert sich die humanitäre Situation zunehmend.

Demonstrierende Frauen mit libyscher Fahne und Plakaten in arabischer Schrift.
„Nein zum Osten, Nein zum Westen. Libyen ist eine nationale Einheit.“ Demonstrierende widersetzen sich der Spaltung des Landes.

(Foto: Demonstration für Libyens EinheitMagharebiaCC BY 2.0)

Wie entstand der Konflikt?

Als im Jahr 2011 Proteste in Libyen aus­brachen, war das Land bereits seit dem Jahr 1969 von dem exzentrischen Muammar al-Gaddafi in einem totalitären Regime regiert worden. Friedliche Proteste wandelten sich schnell in eine bewaffnete Rebellion, die, im Gegen­satz zu Syrien, von einer NATO-geführten Allianz mit Luft­angriffen unter­stützt wurde. Im Zuge eines dieser Angriffe wurde Gaddafi im Oktober 2011 getötet. Die deutsche Bundes­regierung erntete damals heftige Kritik für ihre Ent­scheidung, sich im UN-Sicher­heits­rat zu ent­halten und nicht an dem Einsatz zu beteiligen. Die damalige Bundes­kanzlerin Angela Merkel betonte, dass die Beseitigung des Führers ohne anschließenden Plan für das Land keine Konflikt­lösung sei. Damit sollte sie Recht behalten: Der Tod Gaddafis stürzte Libyen ins Chaos.

Nach ersten Wahlen im Jahr 2012 bemühte sich ein zer­splittertes Parla­ment, den politische Übergang Libyens zu formulieren. Dieser Versuch scheiterte 2014 mit dem Beginn der zweiten Phase des Bürger­kriegs und der politischen Spaltung des Landes. Im Osten erklärte sich General Khalifa Haftar, gestützt durch die Libyschen Nationalen Streit­kräfte (LNA), zum Regierenden des Landes. Ein im Jahr 2017 von der Unterstützungs­mission der Vereinten Nationen in Libyen (UNSMIL) eingeleiteter politischer Konsultations­prozess (NCP), der auf Basis eines inklusiven Dialogs Wahlen und eine Verfassung herbei­führen sollte, wurde im April 2019 durch die Offensive Haftars auf Tripoli beendet. Im Westen wurde unter UN-Vermittlung die Regierung der Nationalen Einheit (GNA) unter Präsident Fayez al-Sarraj etabliert. Diese genoss wenig Legitimität, unter anderem, da sie von Korruption durch­zogen und mangels eigener Truppen von bewaffneten Milizen abhängig war. Im Februar 2021 wählte das Libysche Politische Dialogforum (LPDF) Abdul Hamid Dbaibah zum Premier und schuf so mit dieser Wahl und dem Einsetzen eines Präsidalrats die erste legale Einheitsregierung seit der Spaltung des Landes. Hauptaufgabe der Interimsregierung war die Vorbereitung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Dezember 2021, die aber aufgrund von Auseinandersetzungen zwischen den politischen Lagern platzte. Im Februar 2022 wählte das lybische Abgeordnetenhaus in Ostlybien eine Parallelregierung und ernannte den ehemaligen Innenminister Fathi Bashagha zum Premier, was Dbaibah jedoch nicht anerkannte.

Konfliktlinien und beteiligte Akteure

Seit sich im Jahr 2014 sowohl Haftar als auch Sarraj zu legitimen Regierende Libyens erklärt hatten, waren die inter­nationale Wahr­nehmung und die Vermittlungs­bemühungen des Konflikts durch die Dichotomie zwischen Ost und West geprägt. Die Realität ist aber weiterhin durch eine Viel­zahl von bewaffneten Milizen verkompliziert.  

Haftars Truppen hatten bereits im Vor­feld zur Offensive auf Tripoli im Süden des Landes Territorial­gewinne gemacht. Ein schneller militärischer Erfolg über die Haupt­stadt wäre sowohl aus politischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht für Haftar der entscheidende Vorteil gewesen. Der von der UNSMIL geleitete Konsultations­prozess hingegen hätte absehbar Haftars Position nicht gestärkt. 

Libyen ist eines der öl­reichsten Länder der Welt und leidet unter anderem wirt­schaftlich darunter, dass der anhaltende Konflikt die Öl­förderung und den Export unter­brechen. Momentan liegen die meisten Öl­felder in Gebieten, die Haftar kontrolliert. Laut UN-Friedens­plan soll die Kontrolle über die Öl­ein­nahmen jedoch mit der Kontrolle über Tripoli einhergehen. Einstweilen versucht Haftar inter­national Druck aus­zuüben, indem er Öl­exporte blockiert. Die Kontrolle über die Öl­felder und die Verteilung der daraus gewonnenen Ein­nahmen gehören zu den strittigsten Themen innerhalb Libyens.

In Tripoli steht Haftars Truppen ein Zusammen­schluss von Milizen gegenüber, unter denen sich auch salafistische befinden. Dies nutzt Haftar zu seinem Vorteil und recht­fertigt seine Offensive mit Terrorismus­bekämpfung. Tat­sächlich unter­gräbt Haftar jedoch die Maß­nahmen der letzten Jahre zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Libyen. Das anhaltende Chaos und die leichte Verfüg­barkeit von Waffen bieten unter anderem dem Islamischen Staat (IS) einen hervor­ragenden Nähr­boden. Eine inter­nationale Allianz hatte sich bemüht, diese militanten Gruppierungen unter Kontrolle zu bringen. Haftars Offensive lenkt nun die Auf­merk­samkeit auf Tripoli und gibt islamistischen Milizen im Rest des Landes den Raum zu erstarken.

Kriege sind teuer und die libysche Bevölkerung ist kriegs­müde. Haftar hatte nicht damit gerechnet, dass sich die zer­strittenen Milizen im Westen Libyens gegen ihn zusammen­schließen würden. Beide Seiten haben ein Interesse daran, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden, und werden in ihren Angriffen aggressiver – zum Leid der Zivil­bevölkerung. 

Die Rolle der internationalen Gemeinschaft

Mit den NATO-Luft­angriffen von März bis Oktober 2011 nahm die inter­nationale Gemein­schaft von Anfang an eine entscheidende Rolle im Konflikt über die Zukunft Libyens ein. Mit den Resolutionen 1970 und 1973 verhängte der UN-Sicherheitsrat rasch und entschlossen ein Waffenembargo und Sanktionen und erteilte die Ermächtigung zum Ergreifen “aller erforderlichen Maßnahmen” zum Schutz der Zivilbevölkerung. Während die UNSMIL konstant präsent ist und sich um einen politischen Über­gang bemüht, verschwand der Konflikt in einigen Ländern von der politischen Agenda. Erst mit der erneuten Offensive seit April 2019 nimmt der Krieg zunehmend eine inter­nationale Dimension an. 

Haftar erhält militärische Unter­stützung von Russ­land, das auch Söldner schickt, von den VAE, die unter anderem Luftangriffe auf Tripoli fliegen, sowie von Frank­reich und Ägypten. Letztere tun dies unter dem Schirm der Terroris­mus­bekämpfung. Im Mai 2019 gratulierte der damalige US-Präsident Trump Haftar zu seinem Ein­satz gegen den Terrorismus. Ohne diese Hilfe wäre Haftars Offensive schnell versiegt. Die GNA hingegen, besonders gestützt von der Türkei, Qatar und Italien, ist zwar inter­national anerkannt, aber aufgrund ihrer mangelnden Legitimität umstritten und innerhalb Libyens weniger relevant als oft dargestellt. 

Bereits im Jahr 2011 verhängten die UN mit ihrer Sicher­heits­rats­resolution 1970 ein Waffen­embargo für Libyen, was seither nach­weislich wieder­holt gebrochen wurde. So auch wieder nach der ersten Libyen-Konferenz in Berlin im Januar 2020, auf der es der Bundes­regierung zusammen mit der UNSMIL gelang, alle Konflikt­parteien zumindest schriftlich auf den Stopp sämtlicher inter­nationalen militärischen Ein­mischungen zu einigen. Dies wäre zwar keine Konflikt­lösung, aber ein notwendiger Schritt, um die Kriegs­parteien an den Verhandlungs­tisch zu bringen. UN-General­sekretär António Guterres verurteilte die Waffen­lieferungen wieder­holt scharf. Ein stärkeres Ein­greifen der UN wird unter anderem von Russ­land und Frank­reich aufgrund nationaler Interessen im Sicher­heits­rat blockiert.

Mediations­versuche wurden inzwischen von vielen Seiten unternommen: In Moskau, Paris, Rom, Berlin, aber auch Rabat kamen unter­schiedliche Konstel­lationen von libyschen Gruppen zu Ver­handlungen zusammen – mit wenig Erfolg. Unter­schiedliche nicht abgestimmte Verhandlungen unter­gruben sich gegen­seitig. Verhandlungen zwischen den zwei Regierungen sind außer­dem nicht hin­reichend, da auch die Viel­zahl unabhängiger bewaffneter Milizen an einem Waffen­still­stand und politischen Über­gang beteiligt werden müssten. Das wieder­holte Scheitern beweist der libyschen Bevölkerung, dass die inter­nationale Gemeinschaft nicht in der Lage ist, an einer Ein­dämmung des Konflikts zu arbeiten, den sie selbst mit kreiert hat und nach wie vor anfeuert. 

Die Interessen der inter­nationalen Gemein­schaft an Libyen gehen über die Lösung des Konflikts hinaus: Die EU hat beispielsweise ein großes Interesse daran, Migrations­ströme durch Libyen besser zu kanalisieren und sich Zugänge zu Öl­exporten zu sichern. Des Weiteren destabilisiert der Konflikt in Libyen zunehmend seine Anrainer­staaten.

Und während auf politischer Ebene kein Fort­schritt gemacht wird, leidet die Zivil­bevölkerung unter den Kampf­handlungen. Das Hohe Flüchtlings­kommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) versorgt etwa 1,3 Millionen Schutz­bedürftige – sowohl libysche Zivil­bevölkerung als auch Geflüchtete aus ganz Afrika –, die unter menschen­un­würdigen Umständen in Lagern leben, in der Hoffnung, die Weiter­reise nach Europa zu schaffen. Der humanitäre Einsatz wird aber unter anderem durch die Schließung von Flug­häfen durch Milizen erheblich erschwert.