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20 Jahre Internationaler Strafgerichtshof

Am 1. Juli 2002 trat das Römer Statut in Kraft. Damit konnte der weltweit erste ständige internationale Strafgerichtshof (ICC) seine Arbeit aufnehmen. In den fast 20 Jahren seines Bestehens kam es jedoch nur zu vier Verurteilungen. Eine Bilanz.

Die Bevollmächtigungskonferenz 1998 in Rom. (UN Photo/Evan Schneider)

Die Euphorie war groß, als am 17. Juli 1998 das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs mit 120 Stimmen gegen 21 Enthaltungen und 7 Gegenstimmen verabschiedet wurde. Von einem historischen Schritt für die Menschenrechte und für die Durchsetzung internationalen Rechts war die Rede. Tatsächlich bildet das Statut heute die Grundlage des internationalen Völkerstrafrechts. Hervorgegangen aus der diplomatischen Bevollmächtigungskonferenz von 1998, ist dieser internationale Vertrag, auch Römer Statut genannt, heute von 123 Staaten anerkannt. 

Wo ein Statut, da auch ein Gericht

Direkt in seinem ersten Artikel sieht das Statut die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) vor. Beim ICC handelt es sich um ein ständiges, unabhängiges Gericht, welches weltweit die schwersten internationalen Verbrechen, nämlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und – seit 2017 – das Verbrechen der Aggression, ahndet. Die hohen Erwartungen, die 1998 mit der Verabschiedung des Römer Statuts und der Schaffung des Gerichtshofs verbunden waren, spiegeln sich in der Präambel des Statuts wider: Der Straflosigkeit bei schwersten Verbrechen sollte ein Ende gesetzt und Straftaten, die die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, zukünftig verhindert werden. Hat das Weltstrafgericht diese hoch gesteckten Ziele in den zwanzig Jahren seiner Tätigkeit erreicht? Die Bilanz ist gespalten. 

Ein einzigartiges Organ

Es ist nicht zu leugnen, dass mit dem Internationalen Strafgerichtshof ein weltweit einzigartiges Instrument zur Verfolgung internationaler Verbrechen errichtet wurde. Er kann als weltweit erstes internationales Strafgericht schwerste Verbrechen in über zwei Drittel der Länder der Welt ahnden. Seine Gerichtsbarkeit erstreckt sich dabei auf Verbrechen, die entweder in den Territorien der Vertragsstaaten oder durch deren Staatsangehörige begangen wurden. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass der Gerichtshof in Ländern und gegen deren Staatsangehörige ermittelt, die das Römer Statut nicht ratifiziert haben. Dazu muss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Fall per Resolution an den ICC verweisen. Obwohl dies eher selten geschieht, kam es bereits im Falle von Darfur, im Jahre 2005, und im Falle von Libyen, im Jahre 2011 zu einem solchen Verweis an das Gericht. Neben dem weitreichenden geografischen Handlungsspielraum, erstreckt sich die Gerichtsbarkeit des ICC außerdem auf alle Personen gleichermaßen. Es gibt keine Immunität für amtierende oder ehemalige Staatsoberhäupter, wie der Fall des Sudanischen Ex-Staatschefs Omar al-Baschir zeigt. Die Straftatbestände des Römer Statuts sind auf alle Menschen, unabhängig ihres Ranges oder ihres politischen Gewichts, gleichermaßen anwendbar. Zu den Angeklagten vor dem Weltstrafgericht zählten somit beispielsweise der ehemalige Präsident der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, oder Uhuru Kenyatta, der amtierende Präsident Kenias.

Die langsamen Mühlen der Justiz

Das Sprichwort, nachdem die Mühlen der Justiz langsam, aber stetig mahlen, scheint auf den ICC besonders zuzutreffen. Denn die weitreichende Möglichkeit für das Gericht, Verbrechen weltweit zu ahnden, bringt zahlreiche praktische Hürden mit sich, insbesondere mit Blick auf die Prozessführung. Sprachbarrieren, die umfangreiche Dolmetscherarbeit erfordern, der erschwerte Zugang zu Beweisen und die teilweise instabile Sicherheitslage in den Ländern, in denen Ermittlungen durchgeführt werden, tragen zur Langwierigkeit der Prozesse bei und treiben die Prozesskosten in die Höhe. Zeuginnen und Zeugen sowie Opfer werden nach Den Haag eingeflogen, um ihre Aussagen vor Gericht zu machen, Richterinnen und Richter arbeiten sich intensiv in Länderkontexte und neue Kulturen ein und mit großem logistischem Aufwand werden Anhörungen und Urteilssprüche in den betroffenen Ländern übertragen. Und trotzdem werfen einige Nichtregierungsorganisationen dem Gerichtshof begrenzten Zugang zu Informationen, mangelnde Sichtbarkeit und einen unzureichenden Kontakt zu den Opfern der zu behandelnden Verbrechen vor. Da das Gericht über keine eigene Vollzugs- und Ermittlungsbehörde verfügt, ist es zudem auf die Kooperation der involvierten Staaten angewiesen. Fälle wie die Festnahme von Mitarbeitenden des Gerichts in Libyen 2012 oder die von den USA 2020 verhängten Sanktionen gegen die damalige Chefanklägerin des Weltstrafgerichts und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeigen, dass eine solche Kooperation alles andere als selbstverständlich ist. 

Mangelnder politischer Wille

Russland und China stimmen im Sicherheitsrat gegen die Untersuchung der Situation in Syrien durch den IStGH. (UN Photo/Eskinder Debebe)

Unzureichende Kooperation mit dem internationalen Strafgerichtshof und der Vorrang politischer Interessen bei der Verfolgung internationaler Verbrechen spiegeln sich auch darin wider, dass Großmächte wie die USA, China und Russland das Römer Statut gar nicht erst anerkannt haben. Der vermeintlich politische Einschlag des Gerichts ist der häufigste Kritikpunkt mit dem der ICC konfrontiert wird. Mit dem Vorwurf ein parteiisches Gericht zu sein, das eine kolonialistische Siegerjustiz verkörpere und sich lediglich gegen afrikanische Staaten richte, erreichte die Krise um die Legitimität des Gerichtshofs 2016 ihren Höhepunkt. Fünf afrikanische Staaten drohten ihren Rücktritt vom Römer Statut an und Burundi kündigte 2017 als erster Staat tatsächlich den internationalen Vertrag auf.

Trotz der Tatsache, dass mittlerweile zahlreiche Ermittlungen auch in anderen Regionen der Welt laufen, blockieren mangelnde Kooperationsbereitschaft und politische Allianzen eine effektive, globale Strafverfolgung durch den ICC. Ermittlungen gegen amerikanische Staatsangehörige für in Afghanistan begangene Verbrechen werden spätestens zum Zeitpunkt der Festnahmen scheitern, da die USA nicht nur die Auslieferung von Staatsangehörigen an das Gericht verweigert, sondern sich darüber hinaus vorbehält, im Falle einer Verfolgung durch den Gerichtshof Staatsangehörige mit militärischen Mitteln zu befreien. Auch die Tatsache, dass die Aufarbeitung des syrischen Bürgerkrieges bis heute nicht vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an den Gerichtshof übermittelt wurde, hat politische Gründe und ist in erster Linie dem Interesse Russlands geschuldet, das Syrische Regime unter Präsident Bashar Al-Assad vor einer möglichen Verfolgung durch den ICC zu bewahren. Russland und China machten mehrfach von ihrem Vetorecht im Sicherheitsrat Gebrauch, um entsprechende Resolutionen zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in Syrien durch den ICC zu verhindern.

Ist der ICC ein zahnloser Tiger?

Zum politischen Einfluss, dem der ICC ausgesetzt ist, kommen rechtliche Grenzen, die die Effektivität des Gerichtshofs beschränken. Erstens ist das Römer Statut ein internationaler Vertrag, der jederzeit gekündigt werden kann. Neben Burundi verließen somit auch die Philippinen 2019 den ICC, nachdem Ermittlungen gegen Präsident Duterte wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet wurden. Zwar kann der Präsident noch immer für die im Zeitraum der Mitgliedschaft begangenen Verbrechen angeklagt werden, jedoch nicht mehr für seine nach dem Austritt verübten Taten. Zweitens kann der Gerichtshof nur die Verbrechen ahnden, die nach Inkrafttreten des Römer Status begangen wurden. Die Ahndung von länger zurückliegenden internationalen Verbrechen ist somit per se ausgeschlossen. Drittens wird der Gerichtshof nur dann tätig, wenn ein Land selbst keine Strafverfolgung durchführt oder dazu nicht in der Lage ist. Das Komplementaritätsprinzip bietet somit Staaten die Möglichkeit, durch eine nationale Strafverfolgung die Einschaltung des ICC zu vermeiden. 

Doch Grund zur Hoffnung?

Zwar scheint die Bilanz nach 20 Jahren ICC vorwiegend ernüchternd, doch das Gericht hat sich in vieler Hinsicht entwickelt und ist heute eine einflussreiche Referenz im Bereich der internationalen Strafgerichtsbarkeit. So setzen sich beispielsweise Nichtregierungsorganisationen in Deutschland aktuell für eine Überarbeitung des deutschen Völkerstrafrechts nach Vorbild des Römer Statuts mit Blick auf sexualisierte, reproduktive und geschlechtsbezogene Gewalt ein. Darüber hinaus werden zunehmend aktuelle globale Herausforderungen wie die dramatischen Folgen des Klimawandels oder die andauernde Straflosigkeit internationaler Konzerne an den ICC herangetragen. Erst kürzlich wurde der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro für die Abholzung des Amazonas wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Weltstrafgericht angezeigt. Im Jahre 2019 forderte außerdem eine Koalition aus NGOs den Strafgerichtshof auf, die Verantwortung europäischer Rüstungsfirmen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht im Jemen zu untersuchen. Ob das Gericht den Anfragen nachkommen wird, ist noch unklar. Letztere zeigen jedoch, dass dem ICC auch bei neuen Fragestellungen des internationalen Rechts eine entscheidende Rolle zugesprochen wird. Und dies zu Recht: Denn alles im allem sind die aufgezeigten Grenzen des ICC, allen voran der mangelnde politische Wille zur effektiven Kooperation, typische Grenzen der internationalen Zusammenarbeit und sind nicht der Institution selbst zuzurechnen. Der Gerichtshof und das Römer Statut könnten – wenn die internationale Staatengemeinschaft denn wolle – durchaus die Straflosigkeit für schwerste internationale Verbrechen bekämpfen und zur mehr Gerechtigkeit beitragen. 

Rebecca Fleming

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