Die UNESCO und der Kampf um den Erhalt des Weltkulturerbes
In der der Präambel der UNESCO-Verfassung ist das übergeordnete Ziel der am 16. November 1945 gegründeten UN-Sonderorganisation festgeschrieben: Es besteht in der Schaffung von Frieden und Sicherheit durch internationale Zusammenarbeit in den vier Bereichen Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation. Damit hat die UNESCO ein ambitioniertes und unter den Unterorganisationen der Vereinten Nationen auch das breiteste Aufgabenspektrum. Insbesondere im kulturellen Bereich ist die UNESCO für den Erhalt von Weltkulturerbestätten bekannt. Nachdem im Jahre 1972 die Welterbekonvention verabschiedet worden war, begann die Organisation 1978, erste Weltkulturerbestätten anzuerkennen, darunter den Aachener Dom, die Galapagos-Inseln oder den Yellowstone-Nationalpark. Heute stehen 1.073 Weltkulturerbestätten in 167 Ländern unter dem besonderen Schutz der UNESCO.
Eine Angelegenheit für die Menschheit
Die globale Dimension des Kulturschutzes ergibt sich aus dem Verständnis von Kulturgütern als Erbe der Menschheit. Kulturgüter und Kulturstätten sind Teile der menschlichen Identität und bezeugen die Entwicklung der Menschheit im Laufe der Zeit. Ihr Erhalt für künftige Generationen ist eine internationale Aufgabe im Interesse der Allgemeinheit. Die Zerstörung von Kulturgütern wird daher, ungeachtet zu welchem Volk sie gehören, als ein Angriff auf das kulturelle Erbe der gesamten Menschheit angesehen. Als die Terrormiliz Islamischer Staat im Jahre 2015 einen 2000 Jahre alten Tempel im syrischen Palmyra zerstörte, sprach die damalige UNESCO-Direktorin Irina Bokova entsprechend von einem „nicht hinnehmbaren Verbrechen gegen die Zivilisation.“ Im Jahre 2016 wurde durch den Internationalen Strafgerichtshof außerdem erstmals vor einem internationalen Gericht die gezielte Zerstörung von Kulturgut als Kriegsverbrechen geahndet. Tatsächlich stellen Terrorismus und bewaffnete Konflikte eine große Herausforderung für den Kulturgutschutz und somit auch für die UNESCO dar.
Kulturerbe unter Beschuss
Dies wird aktuell anhand des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan deutlich. Die seit Jahrzehnten immer wieder aufflammenden Gefechte zwischen dem christlich-orthodoxen Armenien und dem muslimisch-sunnitischen Aserbaidschan um die Region Bergkarabach haben einen starken kulturellen Bezug. Kulturstätten in dieser Region wechselten schon mehrfach den Besitzer und werden immer wieder zur Zielscheibe des Konflikts. Auch während der letzten kämpferischen Auseinandersetzungen gerieten Kulturstätten, wie beispielsweise die Kathedrale Christi des Heiligen Retters, unter Beschuss und wurden beschädigt. Nach der nun vereinbarten Übergabe bislang armenisch kontrollierter Territorien an Aserbaidschan werden voraussichtlich 4.000 historische, religiöse und kulturelle Stätten nun unter Aserbaidschans Herrschaft stehen. Bereits kurz nach der Unterzeichnung des Abkommens kursieren Informationen über Zerstörungen und Entweihungen von Kulturstätten durch Angehörige des aserbaidschanischen Militärs. Gleichzeitig wirft die aserbaidschanische Regierung Armenien „Vandalismus“ gegen aserbaidschanische Kulturstätten vor und droht mit Klagen vor internationalen Gerichten.
Die Rolle der UNESCO in Konfliktregionen
Um den Erhalt von armenischen Kulturstätten in den betroffenen Gebieten zu garantieren, soll die UNESCO nun ein Inventar der schutzbedürftigen Stätten anlegen und ihren Erhalt sicherstellen. Zwar sind nur drei armenische Kulturstätten auf der Welterbeliste der UNESCO aufgeführt, von denen sich keine in der umkämpften Region befindet. Doch die UNESCO kann auf Anfrage der betroffenen Länder Expertinnen und Experten empfehlen, die zum Schutz von Kulturerbeobjekten herangezogen werden.
Dies war beispielsweise 2017 im Irak der Fall, als von der UNESCO entsandte Expertinnen und Experten die Beschädigungen an der archäologischen Stätte Hatra feststellten und über Maßnahmen der Notfallsicherung berieten. In Bezug auf Armenien und Aserbaidschan wird von Russland bereits eine Zusammenarbeit mit der UNESCO für den Erhalt von kulturellen und religiösen Einrichtungen befürwortet. Die Direktorin der UNESCO, Audrey Azoulay, hat ihrerseits am 18. November Repräsentanten und Repräsentantinnen aus Armenien und Aserbaidschan empfangen und ihnen technische Unterstützung von Seiten der UNESCO zur Registrierung und zum Schutz der betroffenen Kulturstätten angeboten.
Kampf gegen Zerstörung und illegalen Handel mit Kulturgut
Über die fachliche Expertise hinaus bietet die UNESCO einen umfassenden rechtlichen Rahmen für den Schutz von Kulturgut in Krisenregionen. Die Haager Konvention zum Kulturgüterschutz in bewaffneten Konflikten von 1954 und ihre zwei Protokolle verbieten die Zerstörung, den Diebstahl und die Plünderung von Kulturgut in Kriegen oder bewaffneten Konflikten. Denn Kulturgut wird in Konflikten nicht nur gezielt angegriffen und zerstört, Plünderungen von Kulturstätten und Schmuggel mit Kulturgütern können auch eine wichtige Einnahmequelle für Konfliktparteien darstellen. So finanzierte sich der IS im Irak und in Syrien auch durch illegalen Handel mit Kulturgütern.
Die UNESCO ruft bereits seit 1970 zur internationalen Kooperation bei der Bekämpfung von illegalem Handel mit Kulturgut auf. Auch der UN-Sicherheitsrat fordert in seiner Resolution 2347 eine umfassende polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten unter anderem mit der UNESCO und INTERPOL. Seit 2015 setzt sich die UNESCO außerdem mit der globalen Koalition „Unite4Heritage" für eine verstärkte Zusammenarbeit mit Schlüsselakteuren wie der Polizei, bewaffneten Truppen, der Zivilgesellschaft, Museen und Partnern aus dem Bereich des Kunsthandels für die effektive Bekämpfung des illegalen Handels mit Kulturgut ein. Denn nur wenn auf globaler Ebene zusammengearbeitet wird, kann ein effektiver Schutz von Kulturgut garantiert werden.
Die klassischen Grenzen der internationalen Zusammenarbeit
Doch die internationale Zusammenarbeit ist auch im Kulturbereich nicht frei von politischen Interessen und diplomatischen Einflüssen. Anhand der Arbeit der UNESCO wird deutlich, dass der Schutz des Welterbes letztendlich dem politischen Willen der einzelnen Mitgliedstaaten unterliegt. So verließen die USA und Israel 2018 die UNESCO, nachdem sich die Mitgliedstaaten 2011 mehrheitlich dafür ausgesprochen hatten, Palästina in die UNESCO aufzunehmen. Auch der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan bietet ein Beispiel für die Grenzen der Handlungsfähigkeit der UNESCO. Sie konnte die im Jahre 1998 einsetzende Zerstörung des armenischen Friedhofs in Djulfa durch aserbaidschanische Soldatinnen und Soldaten nicht verhindern. Ein 2019 veröffentlichter Bericht zu den damaligen Zerstörungen armenischen Kulturguts durch Aserbaidschan stellt die UNESCO besonders schlecht dar – ihr wird eine zu enge Beziehung zu Aserbaidschan vorgeworfen und ihr wird nachgesagt, damals bewusst die Augen vor den Zerstörungen verschlossen zu haben. In der aktuellen Situation ist die UNESCO nun ein weiteres Mal in der Pflicht, Kulturgüter effektiv vor Zerstörungen zu schützen.
Rebecca Fleming