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Die Vereinten Nationen und der schwere Weg zum Frieden in Syrien

Der Krieg in Syrien fordert seit 2011 das Leben vieler Zivilisten und treibt Menschen zur Flucht. Die UN haben schon bald nach Beginn des Konflikts versucht an einer friedlichen Lösung zu arbeiten - bis jetzt mit mäßigem Erfolg. Ein Rückblick über die vielen Versuche Frieden zu schaffen.

Ein Junge hält die Hand seines Vater in der zerstörten syrischen Stadt Homs
Ein Junge hält die Hand seines Vater in der zerstörten syrischen Stadt Homs. (UN Photo: Diab/ UNHCR)

Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs Ende März 2011 sind nach Angaben der Vereinten Nationen über 250.000 Menschen gestorben. Über elf Millionen Syrer sind innerhalb und außerhalb des Landes auf der Flucht. Doch zuletzt gab es Anzeichen, die vorsichtigen Optimismus erlauben. Ende Februar wurde von den Vereinigten Staaten von Amerika und Russland ein Waffenstillstand zwischen der Assad-Regierung und der Opposition verhandelt. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen begrüßte diese Vereinbarung. Es ist nicht der erste Versuch der Vereinten Nationen, den Krieg in Syrien zu beenden oder wenigstens das Leid der Bevölkerung zu mindern.

Ein Rückblick:

Kurz nach dem Aufkommen des Konfliktes, im April 2011, legten die Vetomächte Russland und China im Sicherheitsrat ihr Veto gegen eine Resolution ein, die das Vorgehen des syrischen Staates gegen Demonstranten verurteilen sollte. Der Vertreter der Russischen Föderation erklärte, dass das Verhalten der syrischen Regierung keine Bedrohung für den Frieden und die internationale Sicherheit dargestellt hätte. Dies ist nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen Voraussetzung dafür, dass der Sicherheitsrat Resolutionen, die völkerrechtlich bindend sind, erlassen kann.

Rund vier Monate später verurteilte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in einer Erklärung die Menschenrechtsverletzungen und die Gewaltanwendung gegen Zivilisten in Syrien. Ausdrücklich alle Konfliktparteien wurden dazu aufgerufen die Gewalt zu beenden und Abstand von Repressalien zu nehmen. Dazu wurde auch der Angriff auf staatliche Institutionen gezählt. Zuvor hatten sich China und Russland gegen eine schärfere Formulierung oder eine Resolution ausgesprochen.

Ban Ki-moon: Die Abstimmung ist eine große Enttäuschung

Im Februar 2012 haben Russland und China erneut ein Veto gegen einen Resolutionsentwurf im Sicherheitsrat eingelegt. Der Entwurf wurde von arabischen und westlichen Staaten eingebracht und forderte eine Machtübergabe des syrischen Präsidenten Baschar al-Assads  an seinen Stellvertreter sowie demokratische Wahlen unter der Kontrolle einer Übergangsregierung. Die Einbringerstaaten nannten den Entwurf einen Kompromiss. Russland und China hingegen begründeten ihr Veto damit, die Resolution würde syrische Souveränität verletzen und die Schuld am Konflikt einseitig der Assad-Regierung zuweisen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, der sich selten zu Sicherheitsratsentscheidungen äußert, bezeichnete die Abstimmung als große Enttäuschung.
 

Der Sechs-Punkte-Vorschlag

1. Die Zusammenarbeit aller Beteiligten beim politischen Prozess
2. Einen von den UN beobachteten Waffenstillstand
3. Den ungehinderten Zugang von humanitären Organisationen in die von Kämpfen betroffenen Gebiete
4. Die Freilassung politischer Gefangener
5. Bewegungsfreiheit für Journalisten im ganzen Land
6. Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit in Syrien

Zuvor hatten Russland und China im Oktober 2011 abermals ihr Veto gegen einen Resolutionsentwurf eingelegt, der dem syrischen Staat mit Sanktionen drohte, sollte die Gewalt gegen Zivilisten nicht eingestellt werden. Die Spannungen zwischen dem völkerrechtlichen Richtgedanken der staatlichen Souveränität sowie des allgemeinen Gewaltverbots durch Staaten auf der einen und dem internationalen Menschenrechtsschutz auf der anderen Seite stellt einen Grundkonflikt im Syrienkrieg da.

Gemeinsam mit der Arabischen Liga rufen die Vereinten Nationen im März 2012 den Sechs-Punkte-Plan unter der Federführung Kofi Annans ins Leben (siehe Box). Annan, ehemaliger VN-Generalsekretär, wird Gemeinsamer Sondergesandter der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga für Syrien. Inhalt des Plans war unter anderem ein Waffenstillstand und der Beginn des Dialogs zwischen den Konfliktparteien. In einer Erklärung unterstützte der Sicherheitsrat den Vorschlag Annans. Der Friedensplan wurde offiziell auch von den Konfliktparteien in Syrien angenommen.
Zur Kontrolle und Unterstützung beschlossen die Mitglieder des Sicherheitsrates mit den Resolutionen 2042  und 2043 im April 2012 eine Beobachtermission der Vereinten Nationen in Syrien (UNSMIS). Doch trotz kurzzeitiger Ruhephasen gingen die Kämpfe weiter und die Waffenruhe wurde immer wieder gebrochen. Auch Mitglieder der Friedensmission standen unter Beschuss, sodass die Mission zwischenzeitlich ausgesetzt wurde und schließlich am 19. August 2012 endete.

Keine Einigung um Assads Zukunft

Annan initiierte zudem die Genf I-Konferenz, bei der eine so genannte „Action Group“ am 30. Juni 2012 tagte. Die Konferenz konnte sich auf eine Übergangsregierung für Syrien einigen, wie ein Kommuniqué (siehe Box) verlauten ließ. Diese Übergangsregierung könne sowohl aus Vertretern der amtierenden Regierung als auch aus Vertretern der Opposition bestehen. Auf die Frage, ob Assad ein Teil dieser sein könne, einigte man sich nicht. Diese Einigung wurde von den Generalsekretären der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, der damalige EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sowie Vertretern zahlreiche Staaten unterstützt. Der VN-Diplomat Lakhdar Brahimi begann daher im Anschluss und in Zusammenarbeit mit US-Außenminister John Kerry und seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow mit der Vorbereitung einer Konferenz, bei der Regierungs- und Oppositionsmitglieder aufeinandertreffen sollten.

Das Genfer Kommuniqué

Die Schlüsselschritte der Übergangsphase sollten Folgendes beinhalten:

-die Etablierung einer Übergangsregierung mit voller Exekutivgewalt, der sowohl Mitglieder der Regierung als auch der Opposition angehören und die auf der Basis gegenseitigen Konsens geformt wird
-die Partizipation aller Gruppen und Gesellschaftsteile Syriens in einem Prozess des nationalen Dialogs
-die Überprüfung der Verfassungsordnung und des Rechtssystems
-freie und faire Mehrparteien-Wahlen für die neu etablierten Institutionen und Ämter
-die volle Repräsentation von Frauen in allen Aspekten des Übergangs

Der UN-Sondergesandte für Syrien von Februar bis August 2012, Kofi Annan (links), und sein Nachfolger von September 2012 bis Mai 2014, Lakhdar Brahimi (rechts), gemeinsam mit VN-Generalsekretär Ban Ki-moon (Mitte) (UN Photo/ Devra Berkowitz)

Annan beklagt die Uneinigkeit der internationalen Gemeinschaft

Am 17. Juli 2012 legten Russland und China zum wiederholten Mal ein Veto gegen eine Syrien-Resolution des Sicherheitsrates ein. Der westliche Entwurf sollte die damals noch laufende Beobachtermission UNSMIS zu einer zivilen Mission umbauen, die mit direkten Verhandlungen beauftragt werden sollte. Sie enthielt auch die Androhung von Wirtschaftssanktionen, wenn das syrische Regime nicht den Einsatz schwerer Waffen einstelle.
Doch die Kämpfe forderten weiter Todesopfer und trieben Menschen zur Flucht. Auch wenn der Waffenstillstand stets brüchig war, so eskalierte die Gewalt ab Mai 2012 zunehmend. Anfang August gab Kofi Annan bekannt, sein Mandat als Sondergesandter für Syrien niederzulegen. Als Gründe nannte er „vor allem die Unnachgiebigkeit des syrischen Regimes und ihrer Ablehnung, den Sechs-Punkte-Plan umzusetzen.“ Aber auch der Opposition schrieb er aufgrund ihrer „eskalierenden militärischen Kampagne“ Schuld am Blutvergießen zu. „Das alles wird durch die Uneinigkeit der internationalen Gemeinschaft noch verschlimmert“, so Annan weiter. Sein Nachfolger wurde Lakhdar Brahimi.

Brahimi appellierte sowohl an die syrische Regierung als auch an die Opposition im Oktober 2012 zum Anlass des islamischen Opferfestes Eid al-Adha die Waffen niederzulegen. Beide Seiten stimmten zunächst zu. Trotzdem hielten die Kampfhandlungen an – Regierung und Opposition warfen sich gegenseitig vor, sich nicht an die Abmachung gehalten zu haben.

Im Mai 2013 einigten sich Kerry und Lawrow, einen Versuch zu unternehmen, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. Ihre Initiative gewann nach dem Giftgasangriff von Ghouta vom 21. August 2013, der mehrere hundert Menschen das Leben kostete, an Schwung. Dieser Angriff zog eine Untersuchung der Vereinten Nationen nach sich. Nach Verzögerungen durch die syrische Regierung und durch Beschuss von unbekannter Seite ergab der Bericht der VN-Experten, dass es sich um den mit Boden-Boden-Raketen verschossenen Nervenkampfstoff Sarin handelte. Welche Seite für das Kriegsverbrechen verantwortlich war, wurde nicht vollständig geklärt. Gemeinsam mit der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) führten die Vereinten Nationen auf Basis der Sicherheitsratsresolution 2118 ab Oktober 2013 bis September 2014 eine Mission durch, bei der das Chemiewaffenprogramm des syrischen Staates zerstört wurde.
Neben diesem Fortschritt scheiterte wieder eine Resolution des Sicherheitsrates an russischem Widerstand. Der Entwurf sah die Erzwingung von humanitärem Zugang zu rund 2.500 Zivilisten im umkämpften Homs vor. Die Russische Föderation forderte, dass die von Rebellen belagerten Dörfer Nubul und Zahra ebenfalls in den Resolutionstext aufgenommen werden. Dies wurde wiederum von anderen Mitgliedern des Sicherheitsrates abgelehnt.

Bundesaußenminister Steinmeier und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon geben sich auf der Konferenz Genf II die Hand (UN Photo/Eskinder Debebe)

Kein Wille für eine politische Lösung

Trotz der erneut deutlich gewordenen Dringlichkeit von erfolgreichen Friedensverhandlungen, hatte Brahimi weiterhin große Schwierigkeiten, die im Genfer Kommuniqué vereinbarten Ziele und Schritte weiter voranzutreiben. Als Hauptproblem nannte er, die verschiedenen Gruppen in Syrien und deren internationale Unterstützer überhaupt vom „Prinzip einer politischen Lösung“ zu überzeugen. Im Januar und Februar 2014 gelang es schließlich, die syrischen Konfliktparteien und mehrere andere Staaten bei der Konferenz Genf II zusammenzubringen. Dies war die erste internationale Friedenskonferenz, bei der sich die Regierung sowie die Opposition Syriens in Präsenz von VN-Mediatoren gegenübersaßen. Die Zukunft Baschar al-Assads war weiterhin einer der nicht lösbaren Konfliktpunkte, sodass auch Genf II ohne konkrete Ergebnisse blieb.

Kurz nach der Konferenz trat auch der UN-Sondergesandte Brahimi aufgrund des Stillstandes in den Friedensverhandlungen zurück. Ban Ki-moon bezeichnete die Unfähigkeit, zu einer friedlichen Lösung zu kommen, als eine „Tragödie für die syrische Bevölkerung“ und als „Versagen“ der Vereinten Nationen. Neuer VN-Sondergesandter für Syrien wurde der italienisch-schwedische Diplomat Staffan de Mistura.

Im Mai 2014 haben Russland und China mit einem Veto im Sicherheitsrat verhindert, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Menschenrechtsverletzungen in Syrien untersuchen kann. Der von Frankreich eingebrachte Text hatte sich auf alle Verbrechen bezogen, die von Regierungstruppen, regierungstreuen Milizen sowie von bewaffneten nicht-staatlichen Gruppen begangen werden. Eine Resolution wäre notwendig, da Syrien nicht Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofes ist.

Stillstand und vorsichtige Hoffnung

Nach dem Scheitern von Genf II kam es zu einem Stillstand in den Friedensverhandlungen, während sich die militärische Situation entscheidend veränderte. Der Islamische Staat startete Offensiven auf die Stadt Kobanê sowie UNESCO-Kulturerbe-Stadt Palmyra. Im Herbst 2015 griff die russische Föderation massiv mit Luftangriffen in den Bürgerkrieg auf Seiten Assads ein und auch der Westen verstärkte seine Angriffe nach den Attentaten von Paris im November. Erst im Juli 2015 kam es zu neuen Initiativen, um Frieden in Syrien zu schaffen. Die Versuche de Misturas zwischen der Opposition und der Regierung zu vermitteln, scheiterten jedoch an den Weigerung der Rebellen, teilzunehmen. 

Ein Treffen der International Syria Support Group (UN Photo/Cia Pak)

Vorsichtige Hoffnung kam im Oktober 2015 auf. In Wien hatten sich Vertreter diverser Ländern unter dem Namen Internationale Unterstützer-Gruppe für Syrien (International Syria Support Group) zu Verhandlungen getroffen. Ziel dieser Gruppe unter der Führung der USA und Russlands war ein Durchbruch in den Friedensverhandlungen. Nicht zuletzt durch die militärischen Erfolge des so genannten Islamischen Staates war der Druck auf die internationale Gemeinschaft stark gewachsen. Es wurde ein Friedensprozess vereinbart, der die territoriale Integrität eines säkularen Syriens anerkennt. Zudem einigte man sich auf humanitäre Korridore und eine Waffenstillstand. Erneut ausgeklammert wurde die zukünftige Rolle Assads. Am 18. Dezember 2015 verabschiedete der Sicherheitsrat einstimmig die Resolution 2254. Der Plan des Wiener Formats wurde damit inklusive eines Zeitplans für Wahlen und Übergangsregierung angenommen. Der Sondergesandte de Mistura wurde damit beauftragt, die Gespräche zu leiten.

Anfang Februar 2016 moderierten die Vereinten Nationen in Genf eine weitere Runde der Friedensverhandlungen (Genf III). Die Gespräche wurde jedoch nach zwei Tagen ausgesetzt. Während der Verhandlungen konnte die syrische Armee mit russischer Luftunterstützung bedeutende Erfolge gegen Rebellen bei Aleppo feiern. Menschenrechtsorganisationen hatten die hohe Zahl von zivilen Todesopfern beklagt.

Die Außenminister Russlands, Sergey Lawrow, und der Vereinigten Staaten von Amerika, John Kerry, sowie de Mistura (v.l.n.r.) (UN Photo/Mark Garten)

Sicherheitsrat stimmt Waffenstillstand zu

Wenige Tage nach dem Aussetzen der Genfer Gespräche traf sich die Internationalen Unterstützer-Gruppe für Syrien in München und vereinbarte schließlich am 21. Februar 2016 einen Waffenstillstand ab dem 27. Februar zwischen Regierung und Opposition, der sich auf die Resolution 2254 beruft. Der Sicherheitsrat stimmte diesem verhandelten Waffenstillstand in seiner Resolution 2268 einstimmig zu. Explizit ausgenommen im vereinbarten Waffenstillstand sind Angriffe gegen Terroristen. Ob darunter nur die radikalen Islamisten des Al-Qaida-Ablegers Al-Nusra-Front und des Islamischen Staats zu fassen sind, blieb offen.
Die Waffenruhe soll die Chance geben, vereinbarte humanitäre Hilfslieferungen der Vereinten Nationen an die syrische Bevölkerung zu ermöglichen. Ban Ki-moon sieht in einer erfolgreichen Umsetzung der Maßnahmen auch die Chance, die verlorengegangene Glaubwürdigkeit des UN-Sondergesandten für Syrien wiederherzustellen.

Die verhandelte Waffenruhe ist brüchig: es sterben immer noch Menschen in Syrien, von wirklichem Frieden ist das Land weit entfernt. Und doch sind die Zahlen der Todesopfer nach der Einigung zurückgegangen. Die aktuelle Feuerpause ist für zwei Wochen vereinbart. Wenn formal am 9. März 2016 (de facto einige Tage später) die Konsultationen unter de Mistura weitergehen, soll eine Verlängerung vereinbart werden. Die Geschichte der Friedensverhandlungen hat gezeigt, dass die internationale Gemeinschaft für jede noch so kleine Einigung hart kämpfen muss. Und doch bietet die aktuelle Situation die Chance, als Anfang vom Ende des syrischen Bürgerkriegs in die Geschichte einzugehen.

Mirko Vossen

Hinweis: Dieser Rückblick fokussiert sich auf die Friedensverhandlungen für Syrien, bei denen die Vereinten Nationen eine Rolle gespielt haben. Daneben gab es weitere bilaterale und multilaterale Gespräche, Verhandlungen und Abmachungen.

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