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„Es fehlte dann nur noch das Streichholz, um dieses Pulverfass zu entzünden.“

Seit dem 15. April toben in Sudan heftige Gefechte. Dr. Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt im Interview die Hintergründe und wie die Vereinten Nationen sich für ein Ende der Gewalt einsetzen.

Eine Straße mit zerbombten Autos und Gebäuden im Hintergrund in Sudan.
Beschädigte Autos und Gebäude nach Zusammenstößen zwischen den Rapid Support Forces und der Armee im Norden Khartums, Sudan. (Foto: picture alliance/REUTERS/Mohamed Nureldin Abdallah)

Herr Kurtz, wer kämpft in Sudan und warum?

In Sudan kämpfen die beiden wichtigsten Sicherheitskräfte des Landes gegeneinander. Die sudanesischen Streitkräfte geführt von Abdel Fattah al-Burhan und die Rapid Support Forces (RSF) unter Mohammed Hamdan Dagalo, genannt ‚Hemeti‘. Beide sind staatliche Akteure, die RSF sind truppenmäßig ungefähr genauso stark wie die Streitkräfte und auch im sudanesischen Gesetz verankert. De facto sind die RSF aber eine Parallelarmee, was ein großes Problem für die regulären Streitkräfte darstellt.

Wie könnte man die Lage jetzt zusammenfassen? Was ist in den vergangenen zwölf Tagen passiert?

Seit dem 15. April gibt es intensive Kämpfe zwischen diesen Sicherheitskräften, die sehr schnell stark eskaliert sind. Die RSF und die Streitkräfte setzen alles ein, was ihnen an Waffen zur Verfügung steht - ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Es hat dann beispielsweise über das vergangene Wochenende oder vorgestern viele Versuche für Feuerpausen gegeben. Am Dienstag gab es dann auch einen längeren Zeitraum, in dem weniger gekämpft wurde, insbesondere weil es Evakuierungen vieler Staaten gab. Aber schon gestern wurde wieder mit unverminderter Härte in Teilen Khartums und auch außerhalb der Hauptstadt, beispielsweise in Darfur, gekämpft. Bislang gibt es keinen klaren Sieger und keine klare Aussicht darauf, wer siegen könnte.

Wieso ist dieser Grundkonflikt eskaliert?

Es sollte jetzt eine Übergabe der Macht der Militärregierung an eine zivile Regierung geben. Als Teil der Verhandlungen zur Machtübergabe wurde auch das Thema Sicherheitssektorreform besprochen. Dabei ging es insbesondere um das Verhältnis zwischen diesen Sicherheitskräften. Das wurde aber leider bis zum Schluss aufgeschoben, kurz bevor die Macht tatsächlich übergeben werden sollte, und dann sehr konfrontativ angegangen. Es ging darum, in welchem Zeitraum die RSF in die regulären Streitkräfte integriert werden sollten. Die RSF sprachen sich für zehn Jahre, die Streitkräfte für zwei Jahre aus. Die Streitkräfte forderten außerdem, dass sich Hemeti, der Anführer der RSF, in der Zwischenzeit dem Anführer der Streitkräfte auch de facto unterordnen solle. Das lehnte Hemeti ab. Er wollte separat einem möglichen, geplanten zivilen Staatsoberhaupt berichten können und nur diesem untergeordnet sein, also seine eigene Macht weiterhin ausüben können.

Nachdem es zu keiner Einigung kam, entstand eine Eskalationsspirale, die zu immer größerem Misstrauen zwischen beiden Kräften führte. Beide haben sich vorbereitet und Kräfte an strategische Orte verlegt. Es fehlte dann nur noch das Streichholz, um dieses Pulverfass zu entzünden. Wer dieses Streichholz letztendlich angezündet hat, ist nicht klar, aber beide sind für den Krieg und die Kriegsführung verantwortlich.

Welche Rolle spielen die Vereinten Nationen bei der Eindämmung des Konfliktes?

Die UN bemühen sich mit ihrer Integrierten Hilfsmission für den Übergang in Sudan (United Nations Integrated Transition Assistance Mission in Sudan - UNITAMS) und auch durch UN-Generalsekretär António Guterres um eine möglichst schnelle Beendigung des Krieges und der Kriegshandlungen. Sie haben vermehrt versucht, Waffenstillstände und Feuerpausen zu vermitteln. Die wurden dann nicht eingehalten, aber diese Bemühungen gehen weiter. Das ist jetzt die erste Priorität, damit sich Menschen versorgen können und humanitäre Hilfe verteilt werden kann. Es geht darum, dass humanitäre Organisationen überhaupt wieder arbeiten und humanitäre Güter ins Land gebracht werden können. Und natürlich, dass dann tatsächlich auch Verhandlungen stattfinden, damit die Gewalt dauerhaft endet.

Wie sieht die humanitäre Lage vor Ort aus und welche Bemühungen gibt es, um die Situation zu verbessern?

Es gibt vor Ort nicht genug Nahrung, nicht genug Wasser und auch keine ausreichende medizinische Versorgung. Die Preise für diese Grundversorgungsmittel steigen rasant auf ein Vielfaches der gewohnten Preise an. Natürlich auch, weil alle versuchen, aus den umkämpften Gebieten zu fliehen. Das können aber nur die, die die Finanzmittel dafür haben, und die erhöhten Gelder aufbringen können. Schwierig ist es außerdem, überhaupt noch Transportmittel zu finden; viele fliehen zu Fuß aus den besonders umkämpften Gebieten, auch vor allem innerhalb des Landes. Schon vorher war ein Drittel der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen. Diese Zahl wird sich durch den Konflikt sicher noch deutlich erhöhen. Einige humanitäre Organisationen und Akteure wie das Welternährungsprogramm haben außerdem ihre Arbeit teilweise oder insgesamt einstellen müssen. Das macht das Ganze natürlich noch schwieriger.

Können Sie einschätzen, wie sich die Situation entwickeln wird?

Ich erwarte, dass diese Gefechte noch längere Zeit andauern werden. Es ist aber auch möglich, dass die Konfliktparteien einzusehen beginnen, dass sie diesen Krieg nicht gewinnen und eben auch nicht als politischer Sieger daraus hervorgehen können. Im Moment sehe ich dazu aber noch keine Bereitschaft. Deswegen ist zu erwarten, dass diese Kämpfe noch weiter andauern werden. Insbesondere nicht nur in Khartum, sondern auch in Darfur und auch noch in anderen Gegenden.

Worauf sollte die internationale Gemeinschaft schauen?

Ich glaube, was ganz wichtig ist, ist auf die Zivilgesellschaft und die zivilen Parteien zu verweisen. Auch in den umkämpften Gebieten gibt es 'Grassroots'-Bewegungen und Freiwilligenorganisationen, die sich um medizinische Versorgung kümmern, soweit es irgendwie möglich ist. Sie koordinieren, wo es sichere Fluchtwege heraus aus den umkämpften Gebieten gibt. Das ist eine sehr wichtige Funktion, die kein internationaler Akteur im Moment in dieser Form übernehmen kann oder übernimmt. Darüber hinaus gibt es mittlerweile einen breiten Zusammenschluss einer Anti-Kriegskoalition von Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen und politischen Parteien, die sich gegen den Krieg aussprechen. Zum Teil haben sich auch schon in einigen kleineren Städten Komitees oder Zusammenschlüsse gebildet, um sich selber zu koordinieren und die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Sie bemühen sich darum, dass der Krieg sie nicht erreicht und es keine Auseinandersetzungen gibt. In al-Faschir, der Hauptstadt Nord-Darfurs, hatten solche zivilen Verhandlungen auch Erfolg: Sie führten zu einem lokalen Waffenstillstand. Es ist sehr wichtig, dass wir solche Bemühungen unterstützen und nicht aus den Augen verlieren.

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