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Kriegsverbrecher Ratko Mladić zu lebenslanger Haft verurteilt

Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien hat den 74-jährigen Ex-General Mladić zu lebenslanger Haft verurteilt. Er wurde des Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen während des Bosnienkrieges schuldig gesprochen. Auch das Massaker von Srebrenica liegt in seiner Verantwortung. Mit dem Urteil endet das wohl wichtigste Kapitel der internationalen Strafgerichtsbarkeit seit den Nürnberger Prozessen.

Das Bild zeigt den Kriegsverbrecher Ratko Mladić bei seinem Prozess
Kriegsverbrecher Ratko Mladić bei seinem Prozess in Den Haag. (Foto: ICTY)

Dieser 22. November ist sowohl für die internationale Rechtsgeschichte als auch für die Opfer des Bosnienkrieges ein besonderer Tag. Ratko Mladić, auch bekannt als Schlächter von Bosnien, wird wohl den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen. Dies entschieden die Richter des Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (engl. International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, ICTY) die den ehemaligen General der bosnisch-serbischen Armee zu lebenslanger Haft verurteilten. Der 74-Jährige wurde des Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges schuldig gesprochen.

Zwischen 1992 bis 1995 war er nach Auffassung des Gerichts direkt verantwortlich für die Taten der Soldaten der Vojska Republike Srpska (VRS, serbisch für Armee der Republika Srpska). Darunter fällt unter anderem die 43 Monate andauernde Belagerung Sarajevos und das Massaker von Srebrenica bei dem im Juli 1995 rund 8.000 muslimische Bosniaken ermordet wurden. Auch hat er mit seinen Truppen im selben Jahr Personal der Vereinten Nationen als Geiseln genommen. Die Jugoslawienkriege waren die blutigsten Auseinandersetzungen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg und forderten das Leben von über 100.000 Menschen. Mit dem Schuldspruch wird nicht nur einer der berühmtesten wie berüchtigtsten Figuren der Jugoslawienkriege verurteilt. Als letztes Urteil des ICTY endet auch eine der wichtigsten Etappen der internationalen Strafgerichtsbarkeit.

Mladić konnte er seiner Verhaftung lange entgehen, erst 2011 wurde er ergriffen. Auch lange nach dem Krieg genoss er bei großen Teilen der serbischen Bevölkerung hohe Popularität. Es rankt sich eine Vielzahl von Mythen und Erzählungen um den General. So erzählt man sich, dass er im Gegensatz zu vielen Akteuren des Krieges nicht aus Raffgier, sondern aus dem ernsten Interesse an der Verteidigung der Serben handelte. 

Die Legende des „General Mladić“

Ratko Mladić wurde 1943 in einem Dorf in der Nähe von Kalinovik in Herzegowina geboren. Seine Eltern kämpften als Partisanen gegen die nationalsozialistischen Besetzer und deren kroatisch-nationalistischen Verbündeten, die Ustascha. An seinem zweiten Geburtstag wurde sein Vater Nedja von kroatischen Einheiten getötet. Mladić besuchte später die Militärakademie Jugoslawiens, wo er 1965 seinen Abschluss machte. Im selben Jahr wurde er Mitglied der herrschenden kommunistischen Partei. Es folgten verschiedene militärische Stationen in Mazedonien bis er 1991 schließlich nach Kroatien geschickt wurde. Zu dieser Zeit begann bereits der Zerfall des Vielvölkerstaats Jugoslawien. Kroatien hatte sich für unabhängig erklärt und Dalmatien – wo Ratko Mladić Einheiten der jugoslawischen Armee befehligte – war das Epizentrum des serbischen Aufstands gegen diese Unabhängigkeit.

Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien

Der ICTY wurde 1993 durch die Resolution 827 (1993) des UN-Sicherheitsrats formell eingesetzt. Der ICTY verfolgt vier Kategorien von Straftaten, die während der Jugoslawienkriege (1991-2001) von natürlichen Personen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens verübt wurden: Verstöße gegen die Genfer Konvention, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges. 

Unter seiner Führung wurde bereits damals mit erzwungener Migration von Zivilisten experimentiert – ein Vorgang, der später unter dem Euphemismus „ethnische Säuberungen“ fester und grausamer Bestandteil insbesondere des Bosnienkriegs werden sollte. Ziel war dabei die Schaffung eines Großserbiens durch die Vertreibung aller Nicht-Serben. Mladićs militärischer Erfolg beim Kampf gegen kroatische Zivilisten zog die Aufmerksamkeit der bosnisch-serbischen Führung auf sich, die einen  militärischen Anführer suchte. Im Mai 1992 wurde er Offizier in der bosnischen-serbischen Armee und die Legende des General Mladić begann.

Mladić war in der serbischen Bevölkerung – insbesondere bei den bosnischen Serben – außerordentlich beliebt, galt als integer und ehrlich. Im Gegensatz zu vielen Politikern und Warlords der damaligen Zeit, lebte er äußerst bescheiden. Auch suchte er den Kontakt zu seinen Soldaten und war oft persönlich an vorderster Front zu finden. Seine Beliebtheit brachte ihm auch Spielraum gegenüber der politischen Führung der bosnischen Serben ein. So gewann er 1995 einen Machtkampf mit Radovan Karadžić, dem Präsidenten der Republika Srpska – nicht zuletzt, da er schlicht größere öffentliche Unterstützung genoss.

Auf dem Schlachtfeld und in Dörfern und Städten Bosniens wütete Mladić gnadenlos. Seine Soldaten töteten, vergewaltigten oder vertrieben unzählige Zivilisten. Allein bei der 43-monatigen Belagerung Sarajevos starben rund 10.000 Menschen. Mladić sah dabei in seinen Opfern keine Menschen. Als Srebrenica 1993 das erste Mal von der VRS belagert wurde, orderte er Artilleriebeschuss mit den Worten „klopft das rohe Fleisch“. Zwei Jahre später wurde Srebrenica zum Schauplatz des größten Völkermords in Europa seit 1945.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte mit der Resolution 819 die Stadt und Umgebung zu einer Schutzzone erklärt. Die bosnisch-serbische Armee eroberte die Stadt dennoch im Juli 1995. In der Folge haben rund 25.000 Bosniaken in der Nähe des UN-Geländes in Potočari Schutz gesucht. Die Truppen der VRS rückten weiter vor und nahmen ohne Widerstand der verunsicherten UN-Soldaten zahlreiche Bosniaken fest. Einige wurden sofort erschossen und die Männer wurden von Frauen und Kindern getrennt. Zwischen dem 12. und 13. Juli exekutierten Mladićs Einheiten 8.000 männliche Jugendliche und Erwachsene.

Die Bundesrepublik als expansive Macht

In der Öffentlichkeit wollte Mladić jedoch nicht als grausamer Kriegsverbrecher gesehen werden. So erklärte er stets, der Krieg sei den Serben aufgezwungen worden, die sich zwischen Vernichtung und Verteidigung entscheiden müssten. Journalisten erzählte er einmal, er sei „der glücklichste Mensch, wenn der Krieg vorbei wäre“. In Srebrenica verkündete er vor laufenden Kameras, es müsse sich keiner fürchten. Währenddessen wurde das Massaker schon längst vorbereitet. Er teilte dort auch Schokolade an Kinder aus – die er ihnen angeblich wieder abnahm, sobald die Kameras aus waren.

Bei seinen Rechtfertigungen vermischte er häufig historische Ereignisse, Verschwörungstheorien und wohl auch persönliche Erlebnisse zu einem großen Narrativ. So bäumen sich die Serben in seiner Erzählung seit jeher gegen eine große islamische Invasion auf. Die muslimischen Bosnier nannte er daher „die Türken“ und schlug damit eine Brücke zur osmanischen Herrschaft auf dem Balkan. In den USA sah er eine imperialistische Macht, die  einen Teil der Region für sich beanspruche. Vor allem aber hat er es auf Deutschland abgesehen. So habe das Land seine expansiven Ziele nie aufgegeben. Der Regierung der Bundesrepublik warf er vor, Kroaten und Muslime angestachelt zu haben. Einige Vertraute schoben diesen wahnhafte Hass auf die Ermordung seines Vaters.

Ein tiefer Schlag für Mladić war der Selbstmord seiner Tochter Ana, die sich 1994 in Belgrad mit seiner Pistole umgebracht hat. Sie war depressiv und ihre Krankheit wurde wohl durch die Berichterstattung über die Verbrechen des Vaters verstärkt. Der Freitod seiner Tochter nahm den harten General sehr mit. Er leugnete jedoch stets, dies habe etwas mit seinen Taten im Krieg zu tun gehabt.

Im August 1995 – nach dem Massaker von Srebrenica – griff die internationale Gemeinschaft ein: die NATO bombardierte serbische Stellungen um Sarajevo und in ganz Bosnien. Der Krieg endete offiziell mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens von Dayton am 14. Dezember 1995. Kurz danach hat der ICTY, der 1993 vom UN-Sicherheitsrat gegründet wurde, einen Haftbefehl gegen Ratko Mladić ausgestellt. Nun begann für die internationale Strafverfolgung eine jahrelange Odyssee. 

Das Bild zeigt den Chefankäger Serge Brammertz
Chefankläger Serge Brammertz. (UN Photo/Mark Garten)

Respektlosigkeit vor Gericht

Da Mladić in der serbischen und serbisch-bosnischen Bevölkerung auch nach dem Krieg sehr beliebt war, wurde er unterstützt und gedeckt. So soll ihn die serbische Armee bis 2004 geschützt haben, bis 2005 hat er von Serbien-Montenegro eine Armeerente erhalten. Noch 2009 haben sich in einer Umfrage zwei Drittel der Serben gegen eine Überstellung Mladićs ausgesprochen, sollte er gefasst werden. Zu dieser Festnahme kam es schließlich am 26. Mai 2011 im Dorf Lazarevo in der Nähe von Zrenjanin. Wenige Tage später wurde er nach Den Haag überstellt, wo vor dem ICTY sein Prozess begann.

Trotz des Heldenstatus, den der General in Serbien und in der Republika Srpska nie ganz verlor, gab es keine größeren Demonstrationen. Das Interesse an Mladić und das Empörungspotential war Jahre nach dem Krieg stark gesunken. In Serbien wurde die Festnahme vor allem im Licht einer möglichen EU-Mitgliedschaft gesehen, war die Überstellung des vorletzten vom ICTY gesuchten Kriegsverbrechers doch eine zentrale Bedingung für einen Beitritt.

Im Prozess hatten die Richter und der Chefankläger Serge Brammertz über fünf Jahre immer wieder mit der Respektlosigkeit Mladićs zu kämpfen. Mal weigerte er sich, seine Kopfbedeckung abzunehmen. Mal blätterte er in einer Zeitung oder schimpfte über die Richter. Direkt am ersten Tag deutete er einem Überlebenden aus Srebrenica an, dass er ihm den Hals aufschneiden würde. Auch bei der Urteilsverkündung am heutigen Mittwoch rief Mladić dazwischen und wurde schließlich des Saales verwiesen. So macht er eins deutlich: er erkennt das Gericht, das er „Handlanger der NATO“ und „Gericht des Teufels“ nennt, nicht an. Doch das hat ihn natürlich nicht davor bewahrt, heute am 22. November als letzter Kriegsverbrecher der Jugoslawienkriege vom ICTY verurteilt zu werden. Auch wenn es seine Taten für die Opfer nicht ungeschehen macht; Ratko Mladić wird wohl den Rest seines Lebens als Gefangener verbringen.

Mirko Vossen

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