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MONUSCO im Ostkongo: Ein umstrittener Verfechter der Menschenrechte?

MONUSCO in der DR Kongo ist bis heute eine der größten Friedensmissionen der UN. Sie soll die Zivilbevölkerung schützen und staatliche Institutionen stärken. Viele Kongolesinnen und Kongolesen sehen den Einsatz jedoch zunehmend kritisch und werfen MONUSCO Menschenrechtsverletzungen vor.

Eine Gruppe junger Menschen protestiert in DR Kongo mit französischsprachigen Schildern.
Eine Jugendaktivistengruppe protestiert vor dem MONUSCO-Gebäude in Madiba. (UN Photo/Michael Ali)

Die Stabilisierungsmission der Organisation der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo - MONUSCO (bis 2010 MONUC) - ist bis heute eine der größten Friedensmissionen der UN. Sie wurde 1999 etabliert und hat heute zwei strategische Prioritäten: Den Schutz der Zivilbevölkerung sowie die Unterstützung der Stabilisierung und Stärkung staatlicher Institutionen. Im Sinne der UN-Charta, unter der alle Friedensmissionen operieren, ist MONUSCO angehalten, sich für die Wahrung der Menschenrechte einzusetzen und zu fördern.

MONUSCO und der Schutz von Menschenrechten

Um diesem Anspruch im Falle des Ostkongos gerecht zu werden, etablierte der UN-Sicherheitsrat 1996 das Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte in der DR Kongo und im Jahr 2000 die Abteilung Menschenrechte der MONUSCO. Seit Februar 2008 operieren beide als Teile des Gemeinsamen Menschenrechtsbüro der UN (UNJHRO). Dessen Aufgabe besteht zum einen darin, das Bewusstsein der kongolesischen Bevölkerung für ihre grundlegenden Menschenrechte zu schärfen. Zum anderen stärkt es Räume, die es Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, aktiv für ihre Rechte einzutreten. Während meines Forschungsaufenthalts in Goma betonten viele Aktivistinnen und Aktivisten die wichtige Rolle, die das UNJHRO für die Stärkung der Menschenrechte spiele. Besonders angesichts der politischen Situation, in der Protestaktionen häufig zur illegalen Inhaftierung oder zum Tod führen können, sehen viele im UNJHRO eine wichtige Unterstützung zur Wahrung ihrer Menschen- und Bürgerrechte.

Obwohl sich viele kongolesische Akteure sowie internationale Partner für Menschenrechte einsetzen, bleibt die Situation schwierig. Gewaltbereite Gruppen, darunter die ADF (Allied Democratic Forces), CODECO (Cooperative for the Development of the Congo) und verschiedene Maï-Maï-Milizen attackieren weiterhin die kongolesische Zivilbevölkerung. Das jüngste Erstarken der Rebellengruppe M23 hat die Lage in Nord-Kivu weiter verschlechtert. Zudem haben als Reaktion auf die anhaltende Gewalt durch M23 auch Hassreden und andere Formen der Gewalt gegen kongolesische Tutsi, denen unterstellt wird, den Kampf der M23 zu unterstützen, zugenommen.

Allein im Zeitraum vom 17. September bis 30. November 2022 dokumentierte MONUSCO offiziell 845 Menschenrechtsverstöße – über ein Drittel gingen von staatlichen Sicherheitsorganen aus. Besonders der seit Mai 2021 geltende Notzustand (‚Etat de Siege‘) in den Provinzen Nord-Kivu, Süd-Kivu und Ituri hat diese Situation verschärft. In einem Interview  bezeichnet ein kongolesischer Anwalt die geltende Militärjustiz als ein „Instrument der Unterdrückung“, das besonders Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen trifft: "Zuerst verhaften sie dich, dann verlangen sie Geld von dir und das zwingt dich, zu verhandeln. Wenn du kein Geld hast, wird es sehr schwierig für dich."

Sexueller Missbrauch durch MONUSCOs “Blauhelme”

Gleichzeitig beklagen viele Kongolesinnen und Kongolesen, dass sie auch von Akteuren, die sich offiziell für Menschenrechte einsetzen, enttäuscht wurden. MONUSCO ist hier keine Ausnahme. Besonders Anfang der 2000er-Jahre gab es reihenweise Berichte über sexuellen Missbrauch durch die Blauhelme im Ostkongo. Die Anwesenheit von MONUSCO-Truppen führte häufig zu einem Anstieg des Sexhandels, Kinderprostitution sowie der Etablierung von Bordellen nahe militärischer Stützpunkte. Während einige der Frauen die körperlichen Beziehungen zunächst als ‚transaktional‘ ‚wahrnahmen und vor allem materielle oder auch finanzielle Unterstützung erhielten, wuchsen viele der Kinder von UN-Soldaten ohne ihre Väter oder irgendeine Form der langfristigen, materiellen Unterstützung auf. Erst die Etablierung der “Zero-Tolerance Policy”, des “Misconduct Tracking System” und anderer Maßnahmen konnte die Fälle sexuellen Fehlverhaltens reduzieren. Zudem besteht nun zumindest theoretisch die Möglichkeit, die entsprechenden Personen konsequent zur Verantwortung zu ziehen.

Dennoch haftet der schlechte Ruf den Blauhelmen weiterhin an. Die Beziehung zwischen MONUSCO und der kongolesischen Bevölkerung hat sich in den vergangenen Monaten massiv verschlechtert. Immer wieder kommt es zu Protesten in Städten wie Goma, Beni und Butembo sowie in kleineren Orten wie Mambasa. Viele der Protestierende werfen MONUSCO Ineffizienz, Indifferenz und teilweise sogar Mitschuld an den anhaltenden Konflikten vor. In Goma hörte ich oft, dass die Blauhelme lediglich im Land seien, um Geld zu verdienen und sich “eine gute Zeit mit kongolesischen Frauen zu machen” – ohne substantiell zu Frieden und Stabilität beizutragen. Auch die kongolesische Regierung hat in der Vergangenheit den Abzug MONUSCOs gefordert. Manche Beobachterinnen und Beobachter sprechen deshalb davon, dass die Regierung MONUSCO als „Sündenbock“ für ihre eigenen Versäumnisse instrumentalisiert – eine Dynamik, die durch die Verbreitung von Desinformation auf sozialen Medien weiter verschärft wird.

Proteste gegen MONUSCO und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung

Es sind unter anderem die Anschuldigungen der Zivilbevölkerung, die wiederholt Ausdruck in Protestaktionen finden. Häufig münden diese in Gewalt – auch da kongolesische Sicherheitskräfte vielfach mit Waffengewalt gegen Protestierende vorgehen. Gleichzeitig kommt es neben friedlichen Demonstrationen und Straßenblockaden auch von Seiten einiger Protestierenden zuweilen zu Gewalt. Die großen Demonstrationen in Beni im November 2019 wurden rückblickend vom MONUSCO-Personal beispielsweise keineswegs als demokratischer Protest, sondern als direkte Attacke wahrgenommen. Während der Eskalation in Goma im Juli 2022 kam es außerdem zu Plünderungen. Wenige Tage später starben in Butembo zwei indische Polizisten und ein marokkanischer Militärangehöriger, die unter MONUSCO gedient hatten. Gleichzeitig kritisieren kongolesische Aktivistinnen und Aktivisten, dass MONUSCO immer wieder mit Gewalt gegen kongolesische Zivilisten vorgehe. So wurden laut Loswire Shabani, einem Aktivisten der Jungendbewegung LUCHA, allein bei den Protesten in Butembo zehn Protestierende durch bewaffnetes MONUSCO-Personal getötet. Viele Kongolesen erinnern die Verstorbenen als “kongolesische Märtyrer”, die im Kampf gegen internationale Besatzer starben.

Diese Beispiele zeigen, dass MONUSCO als UN-Friedensmission und Menschenrechtsakteur durchaus umstritten ist. Es sind unter anderem die vielen Erinnerungen des sexuellen Missbrauchs und der Gewaltbereitschaft gegen kongolesische Zivilistinnen und Zivilisten, wie zuletzt gesehen bei der Schießerei in der Grenzstadt Kasindi, die das Verhältnis zur kongolesischen Bevölkerung stark belasten. Auch da sich die Sicherheitslage in einigen Provinzen eher verschlechtert als verbessert, stellen viele Kongolesinnen und Kongolesen in Frage, inwiefern die Mission ein legitimer Akteur im Kampf um Frieden und Menschenrechte ist. Internationale Beobachter fordern, dass “wenn MONUSCO wirklich ihr Image verbessern will”, die Mission anfangen müsse, Räume des Dialogs zu erweitern. Auch der kongolesische Vize-Premierminister Christophe Lutundula betonte im März 2023, dass Anpassungen von Nöten seien, um das „angeschlagene Image der MONUSCO“ wiederherzustellen. Allerdings geht es hierbei keineswegs nur um das Image der Mission oder der UN. Im Kern geht es um nicht weniger als Menschenleben.

Stephanie Jänsch

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