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Nach dem INF-Ende: Es ist Zeit für ein generelles Verbot von Atomwaffen

Das Aus für den INF-Vertrag scheint besiegelt. USA und Russland werfen sich gegenseitig Vertragsverletzungen vor und haben Anfang Februar ihren Austritt erklärt. Es ist Zeit für ein Atomwaffenverbot. Ein Beitrag auf unserem Debattenblog.

Ein sowjetischer Inspektor untersucht eine Tomahawk-Rakete. (Foto: gemeinfrei)

Diese Zeiten erinnern mich sehr an die frühen 80er Jahre. Als junge Studentin habe ich mit vielen anderen Menschen in Europa um mein Leben gebangt. Denn die NATO hatte mit dem Doppelbeschluss 1979 festgelegt, nukleare Mittelstreckenraketen und Cruise Missiles in Westeuropa zu stationieren, um die Sowjetunion zu zwingen, ihre Raketen zurückzuziehen. Diese Waffen galten als Erstschlagswaffen, die im Ernstfall die nuklearen Streitkräfte des Anderen „enthaupten“ sollten. Über diesen Wahnsinn war die Zivilbevölkerung hoch alarmiert. Europa könnte das Schlachtfeld für den 3. Weltkrieg und Abermillionen Leben vernichten werden. Aus diesem Grund ging ich – zusammen mit hunderttausenden Menschen in Westeuropa – auf die Straße. Aufgeatmet haben wir erst 1987, als Reagan und Gorbatschow den INF-Vertrag unterzeichneten. 

„Die Chancen stehen nicht gut“

Der deutsche Außenminister Heiko Maas sagte am 11. Januar in einem Spiegel-Interview: "Die Chancen, das Abkommen zu erhalten, stehen nicht gut" und forderte eine neue Debatte über Abrüstung. Zuvor hat er in einem Gastbeitrag bei Spiegel online im November 2018 gesagt, er wolle sich „beharrlich und mit Nachdruck für Abrüstung und Rüstungskontrolle einsetzen“, um ein weltweites Wettrüsten zu stoppen und Frieden in Europa zu sichern. Nun scheinen seine Vermittlungsversuche gescheitert zu sein.

Wenn man sich die gegenseitigen Vorwürfe der Vertragsparteien anschaut, stellt sich die Frage, ob sie wirklich das Ende eines solch wichtigen Rüstungskontrollinstrumentes bedeuten müssen. Im Vertrag steht, dass eine Partei kündigen kann, „wenn sie entscheidet, dass durch außergewöhnliche, mit dem Inhalt dieses Vertrages zusammenhängende Ereignisse eine Gefährdung ihrer höchsten Interessen eingetreten ist“ (Artikel XV). Die Rhetorik über vermeintliche Vertragsverletzungen eskaliert zwar täglich, aber die Belege, dass diese Systeme tatsächlich den Vertrag verletzen, fehlen auf beiden Seiten. Russland hat seine bestrittene Waffe zur Schau gestellt, aber das reicht nicht aus, um die Reichweite zu belegen. Über das bestrittene Aegis Ashore Waffensystem der USA mangelt es auch an Transparenz. Es ist jedoch noch nicht zu spät, das Problem zu lösen, wenn der politische Wille bestehen würde.

Ist eine Lösung überhaupt gewollt?

Damit stellt sich natürlich die Frage, ob eine Lösung wirklich gewollt ist. Seit Jahren verfolgen die USA und Russland kostspielige Modernisierungsprogramme ihrer kompletten Atomwaffenarsenale samt Trägersystemen. Momentan ist es verboten, Mittelstreckensysteme zu bauen, weil der INF-Vertrag dies verbietet. US-Sicherheitsberater John Bolton sagte bereits 2011 in einem Gastbeitrag im Wall Street Journal, dass der INF-Vertrag deswegen der USA schade. 2014 schrieb Bolton erneut im WSJ, dass der INF obsolet sei. Er zitiert einen Bericht aus 2013 des gemeinsamen Stabschefs der USA: Durch ein Ende der Eingrenzungen durch den INF-Vertrag könne die Entwicklung der konventionellen US-Strategie zur konventionellen Verteidigung, jedes beliebige Ziel weltweit innerhalb einer Stunde zu treffen (Prompt Global Strike), verbessert werden. Die Begrenzungen durch den Vertrag störe die US-Fähigkeit, globale Sicherheit zu wahren, so Bolton, weil u. a. China, Iran und Nordkorea nicht Vertragsparteien seien.

Wenn das Problem wirklich China, Iran oder Nordkorea wären, hätte man auf den 2007 bei den Vereinten Nationen gemachten russischen Vorschlag eingehen können, Verhandlungen über einen multilateralen INF-Vertrag zu erzielen. In den letzten Jahren scheint diesen Vorschlag jedoch niemand ernsthaft zu verfolgen.

Ein neues Instrument,…

In diesem politischen Kontext erscheint ein neues Instrument: Der UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen (TPNW). Die Idee hinter diesem Vertrag ist die Delegitimation der Atomwaffe an sich – und damit auch der nuklearen Abschreckung – als ersten Schritt zur nuklearen Abrüstung. Die Befürworter des Atomwaffenverbots haben die Lehre aus anderen Abrüstungsprozessen gelernt: Die Waffen müssen zunächst geächtet werden, bevor sie abgeschafft werden können. Deswegen sprach sich die Mehrheit der UN-Staaten am 7. Juli 2017 für das Verbot aus, auch wenn die Besitzerstaaten noch nicht dabei sind. Der bereits bestehende Verzicht auf Atomwaffen (durch den Nichtverbreitungsvertrag und regionale atomwaffenfreie Zonen) wird durch ein Verbot bekräftigt und der Druck auf die Atomwaffenstaaten erhöht, der Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung aus Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrages nachzukommen.

Denn die Atomwaffenstaaten haben mit ihren Modernisierungsprogrammen schon längst deutlich gemacht, dass die Erfüllung des Artikel VI in Punkto nukleare Abrüstung lange auf sich warten lässt. Mit den aktuellen Entwicklungen zum INF-Vertrag verletzen die USA und Russland eine weitere Bestimmung des Artikel VI: Das Wettrüsten zu beenden. Stattdessen drohen beide Staaten, ihn unbegrenzt wieder aufzunehmen. Wie kann hier die Bremse gezogen werden? Nette Vermittlungsgespräche hinter geschlossenen Türen haben nicht funktioniert. Deutschland bleibt seit langem bündnisloyal, obwohl Präsident Trump gar nicht mehr in der NATO bleiben zu wollen scheint, wie die New York Times am 16.1.2019 berichtete.

…, das genutzt werden muss!

Wir stehen an einer Kreuzung der Weltgeschichte, wo niemand einfach zuschauen darf, während Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge zerrissen werden und dadurch hart erkämpfte Sicherheit gefährdet wird. In dieser Situation braucht es ein klares Signal der US-Bündnispartner, dass sie ein Ende des INF-Vertrages und eine neue Welle der nuklearen Abschreckung als Verteidigungspolitik nicht unterstützen. Ein solches Signal ist der Vertrag zum Atomwaffenverbot. Die Bundesrepublik Deutschland braucht ihn nur zu unterzeichnen.

 

Xanthe Hall arbeitet im Vorstand von ICAN Deutschland und ist Mitbegründerin der Organisation. Hauptberuflich ist sie seit 1992 Geschäftsführerin und internationale Campaignerin der Internationalen Ärzte gegen Atomkrieg (IPPNW).

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