Wahlen in Liberia – Ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum Frieden?
Wenngleich die gefürchteten wahlbezogenen Gewaltausbrüche bislang größtenteils ausblieben und die Sicherheitslage relativ stabil ist, waren die Monate im Vorfeld der Wahlen von Spannungen geprägt. Neben logistischen Herausforderungen bei der Vorbereitung des Urnengangs wurden auch politische Kontroversen mit zunehmend aggressiver Rhetorik ausgefochten. Vor diesem Hintergrund mischen sich unter den weitverbreiteten Optimismus und die Hoffnung auf eine demokratische Wende gleichzeitig auch Nervosität und Bangen – gemischte Gefühle, die in vielerlei Hinsicht auch die aktuelle Lage des Nachkriegs-Liberias wiederspiegeln: Auf der einen Seite werden dem Land große Fortschritte in der Friedenskonsolidierung attestiert. Andererseits äußern politische Beobachter Zweifel an der Stabilität des Landes und der Tragfähigkeit des jungen Friedens.
Spannungen im Vorfeld der Wahlen
Bereits in den Monaten vor der Wahl kam es wiederholt zu Unstimmigkeiten und logistischen Pannen. In Kritik stand besonders die Nationale Wahlkommission (NWK), die Versäumnisse in der Wählerregistrierung einräumen musste. Dem West Africa Network for Peacebuilding zufolge wurden etwa 13000 wahlberechtigte BürgerInnen nicht ordnungsgemäß in der Wählerliste eingeschrieben. Die darauffolgende Beteuerung des NWK-Vorsitzenden Jerome Korkoya, alle Wahlberechtigten dürften unabhängig von der Wählerliste wählen, sorgte landesweit für Aufsehen und schürte Ängste zur Gesetzmäßigkeit des Wahlprozesses. Derartige Vorfälle schwächen das Vertrauen der Bevölkerung in die NKW und bieten Raum für Zweifel und potentielle Anfechtungen des Wahlergebnisses. Die Position der NKW wurde des Weiteren durch den breit diskutierten Skandal um ihren Vorsitzenden Jerome Korkoya geschwächt. Letzterer stand im April 2017 wegen seiner angeblichen amerikanischen Staatzugehörigkeit in der Kritik (der liberianischen Verfassung zufolge darf der Vorsitzende der NKW keine doppelte Staatsbürgerschaft haben).
Auch die liberianische Polizei wurde im Vorfeld der Wahlen mehrfach kritisiert. Im Vorfeld der Wahlen absolvierten die Polizeikräfte zahlreiche Trainings zur Prävention von wahlbezogener Gewalt. Dennoch sorgen unzureichende finanzielle und logistische Ressourcen sowie Mangel an Personal für Zweifel an den Fähigkeiten der Sicherheitskräfte, mögliche gewaltsame Ausschreitungen vor, während und nach der Wahl unter Kontrolle zu bringen. Dem Institute for Security Studies (ISS Africa) zufolge ist die Kapazität der Polizei bereits mit 5 101 Einsatzkräften vollständig ausgeschöpft, von denen nur 24% außerhalb der Hauptstadt Monrovia stationiert sind. Somit stellen die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen die liberianische Polizei - insbesondere vor dem Hintergrund des fast vollständigen Abzugs der UN-Blauhelme - vor eine beträchtliche Bewährungsprobe.
Nicht zuletzt sorgte die hitzige Kontroverse um den sogenannten Code of conduct für Spannungen und warf zahlreiche Fragen zum Verlauf der Wahlen auf. Der Code of Conduct, der im März 2014 verabschiedet wurde, ist eine Verordnung, die es PräsidentschaftskandidatInnen untersagt, in den zwei Jahren vor ihrer Kandidatur ein gewähltes politisches Amt zu besetzen. Nachdem der Oberste Gerichtshof den Code of Conduct im März 2017 für verfassungskonform erklärte, sahen sich plötzlich zahlreiche PräsidentschaftsanwärterInnen in ihrer Kandidatur gefährdet. In den Folgemonaten beteuerten mehrere betroffene KandidatInnen, dass sie ungeachtet der gerichtlichen Entscheidung kandidieren würden. Diese Aussagen brachten nicht nur die Spannungen zwischen dem liberianischen Justizsystem und der politischen Arena ans Licht, sondern warfen vor allem Fragen zur Bereitschaft der KandidatInnen auf, die Regeln des Wahlprozesses zu respektieren.
PräsidentschaftskandidatInnen, die wenig Erneuerung versprechen
Wenngleich 20 KandidatInnen um das Amt des Staatsoberhauptes konkurrieren, so bietet sich den 2,1 Millionen liberianischen WählerInnen doch eine eingeschränkte politische Auswahl. In der Tat ähneln sich die Wahlprogramme der Kandidaten in vielerlei Hinsicht. So versprechen alle PräsidentschaftsanwärterInnen Arbeit, sowie Investitionen in Infrastruktur, Landwirtschaft und Bildung. Mangels politischer Visionen stützen sich viele KandidatInnen auf ethno-regionale Zugehörigkeiten, um ihre Wählerschaft zu mobilisieren. In diesem Zusammenhang spielt die spaltende „Kongo-Native“ Rhetorik immer wieder eine Rolle, die die Abgrenzung zwischen den sogenannten Einheimischen und den im 19. Jahrhundert zugezogenen Amerikano-LiberianerInnen betonen soll.
Die Spannungen, die durch diese ethnisch geprägte Rhetorik entstehen, werden überdies durch die zweifelhafte Rolle mehrerer PräsidentschaftskandidatInnen im liberianischen Bürgerkrieg verschärft. Zu den bekanntesten Anwärtern auf die Präsidentschaft gehört beispielsweise Prince Yormie Johnson (Mouvement for Democracy and Reconstruction), der als Rebellenführer während des Bürgerkriegs für die brutale Folter des damaligen Präsidenten Samuel Doe sowie mehrere öffentliche Hinrichtungen verantwortlich war. 2009 empfahl die Wahrheits- und Versöhnungskommission Johnsons Ausschluss aus der Politik – eine Empfehlung, der nie Folge geleistet wurde: Heute ist der ehemalige Kriegsherr Senator des Nimba Counties, wo er sich großer Beliebtheit erfreut. Auch Geschäftsmann Benoi Urey (Kandidat der All Liberians Party) kann auf eine fragwürdige Vergangenheit im liberianischen Bürgerkrieg zurückblicken. In Folge seiner Tätigkeiten als Kommissar für Maritime Angelegenheiten unter dem damaligen Rebellenführer und Präsidenten Charles Taylor stand Ureys Name bis 2013 auf der Sanktionsliste der Vereinten Nationen. Präsidentschaftskandidat Oscar Cooper wiederum war während des Bürgerkriegs als Anführer einer der brutalsten Rebellengruppen unter dem Namen „Captain Marvel“ bekannt. Die Rolle, die ehemalige Kriegsverbrecher wie Johnson, Urey und Cooper in der heutigen politischen Arena Liberias einnehmen, verdeutlicht die Komplexität des Nachkriegs-Liberias und wirft zahlreiche Fragen bezüglich des Friedens- und Versöhnungsprozess des Landes auf.
Liberia – 15 Jahre nach Ende des Bürgerkrieges
Liberia konnte seit Ende des Bürgerkriegs im Jahre 2003 Fortschritte in der Friedenskonsolidierung verzeichnen – dies betonen nicht zuletzt die Vereinten Nationen, Botschafter sowie zahlreiche NGOs immer wieder aufs Neue. Präsidentin Johnson Sirleaf erkor die Friedenskonsolidierung und die Versöhnung zur höchsten Priorität ihrer Präsidentschaft und legte mit Blick auf die sozioökonomischen Ungleichheiten, die im Bürgerkrieg eine ausschlaggebende Rolle spielten, einen besonderen Fokus auf wirtschaftliches Wachstum, ausländische Investitionen und Schuldenerleichterungen. Parallel dazu initiierte die Präsidentin eine nationale Sicherheitsstrategie (2008) sowie einen nationalen Plan unter dem Namen „Liberia Vision 2030“, der wiederum die Entwicklungsagenda 2012-2017 und den Strategischen Plan für die Nationale Friedenskonsolidierung, Heilung und Versöhnung (2012-2030) umfasst. Zusätzlich investierte der Peacebuilding Fund der Vereinten Nationen zwischen 2008 und 2015 50 Millionen US-Dollar in die Reform des liberianischen Sicherheitssektors, die Förderung von Rechtsstaatlichkeit sowie die nationale Versöhnung.
Trotz dieser zahlreichen Bemühungen kann heute jedoch nicht wirklich von einem Erfolg der Friedenskonsolidierung in Liberia gesprochen werden. Dies lässt sich zum einen auf den Ausbruch der Ebola-Epidemie im Jahr 2014 zurückführen, die alleine in Liberia zwischen 2014 und 2015 4716 Menschenleben forderte. Die rasante Verbreitung des Virus machte nennenswerte Errungenschaften der Friedenskonsolidierung der ersten Nachkriegsjahre in kürzester Zeit zunichte. So wurden in Folge des Ausbruchs der Epidemie für die Stabilisierung des Landes unabkömmliche finanzielle Ressourcen für den Kampf gegen den Virus umgelenkt. Die Epidemie verschärfte zudem bestehende Konfliktlinien und trug zu neuen gesellschaftlichen Spaltungen bei.
Vor allem aber fand in Liberia trotz der Verabschiedung verschiedener Gesetze und Programme keine tiefgehende Auseinandersetzung mit den Ursachen des 14-jährigen Bürgerkriegs statt. So bleiben viele der eigentlichen Konfliktursachen wie soziale Ungleichheit und Armut, hohe Arbeitslosigkeit, Korruption, Menschenrechtsverletzungen und die fehlende Rechtsstaatlichkeit bis heute ungelöst. Auch die nationale Versöhnung bleibt ein heikles Thema: Der Bericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission, der die Strafverfolgung von 98 Kriegsverbrechern sowie den Ausschluss von 50 Individuen (darunter Präsidentin Johnson Sirleaf) von öffentlichen Ämtern empfahl, wurde 2009 auf Wunsch der Präsidentin zu den Akten gelegt. Des Weiteren stellt die schwache Beziehung zwischen Staat und BürgerInnen auf lange Sicht eine Gefahr für die Stabilität und den Frieden des Landes dar. Auch Dezentralisierungs-Maßnahmen, die für eine gleichmäßigere Machtverteilung und eine stärkere politische Beteiligung der Bevölkerung sorgen sollten, konnten bislang nur wenig konkrete Ergebnisse erzielen.
Trotz dem bisherigen Ausbleiben von Gewalt werden die Wahlen vom 10. Oktober somit in einem fragilen Kontext stattfinden. Vor diesem Hintergrund wird es unabdingbar sein, über Präsidentin Johnson Sirleafs politisches Erbe hinaus eine nachhaltige Friedenskonsolidierungsstrategie für Liberia zu entwickeln. National angetriebene Friedens- und Stabilisierungsbemühungen sind insbesondere mit Blick auf den zunehmenden Rückzug der internationalen Gemeinschaft aus Liberia von zentraler Bedeutung. Dem neugewählten Präsidenten bzw. Präsidentin wird hierbei eine Schlüsselrolle zukommen.
Lisa Heinzel