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Debatte: Wo ist die Stimme des Generalsekretärs im Konflikt um die Ukraine?

Eine fiktive Rede, die UN-Generalsekretär António Guterres nicht hält, aber in der aktuellen Situation halten sollte. Ein Meinungsbeitrag.

UN-Generalsekretär António Guterres hält an einem Rednerpult vor blaugrünem Hintergrund eine Rede.
UN-Generalsekretär António Guterres (UN Photo/Bajanpro)

Am Freitag, den 4. Februar, eröffneten die Olympischen Winterspiele in Peking. Die Spiele stehen für den friedlichen und fairen Wettkampf zwischen Sportlern und Sportlerinnen aus allen Ländern. Traditionsgemäß mit dem olympischen Gedanken ruhen während der Zeit der Spiele alle politischen Feindseligkeiten. Auch in diesem Jahr sollten wir die Zeit der Spiele nutzen, um Abstand zu gewinnen und zu reflektieren, wie wir bestehende Konflikte befrieden können.

Zu Beginn dieses Jahres 2022 stehen sich zwei Mächte, die USA und Russland, feindselig gegenüber, die laut der Charta der Vereinten Nationen das wichtige Mandat bekamen, als ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates zusammen mit den anderen Ratsmitgliedern über den internationalen Frieden und die Stabilität des internationalen Systems zu wachen; und wenn es Bedrohungen gibt, Maßnahmen zu ergreifen, die diese Bedrohung beenden. China steht sowohl als Gastland der Winterspiele, wie auch als ein ständiges Mitglied des Rates, in dieser Verantwortung. Andere ständige Mitglieder wie Frankreich und England bemühen sich durch direkte Gespräche mit der ukrainischen und russischen wie auch der amerikanischen Regierung, den Konflikt zu entschärfen. Gleichzeitig haben Frankreich, Deutschland, Russland und die Ukraine ihre Gespräche im Rahmen des Normandieformats wieder aufgenommen. Alle diese diplomatischen Bemühungen begrüße ich ausdrücklich, kann aber nicht übersehen, dass die militärische Konfrontation ungehemmt als eine mögliche Bedrohung des Friedens bestehen bleibt.

Es ist nicht meine Rolle als UN-Generalsekretär, den Konflikt in der einen oder anderen Weise zu beurteilen. Es ist aber sehr wohl meine Aufgabe, alle Beteiligten daran zu erinnern, insbesondere die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, dass sie eine besondere Verpflichtung haben, den internationalen Frieden zu sichern. Ich möchte deshalb an alle appellieren, Umsicht walten zu lassen.

In den kommenden Jahren kann es unmöglich darum gehen, dass sich Großmächte, die auch ständige Mitglieder im Sicherheitsrat sind, antagonistisch gegenüberstehen. Sie müssen im Gegenteil für alle anderen Konflikte, die es an anderen Stellen gibt, exemplarisch Mittel und Wege suchen und finden, wie solche Konflikte nicht-militärisch gelöst werden können. In der Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedern des Rates und der Generalversammlung müssen sie ein Beispiel geben und positive Zeichen setzen.

Für die kommenden Jahre brauchen wir unsere ganze Führungskraft, um gemeinsam die globalen Herausforderungen zu meistern. Die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen wurde 2015 von den Mitgliedsländern der Vereinten Nationen als eine universelle Agenda angenommen, also auch von den Mitgliedern des Rates und für deren Länder. Die COVID-19-Pandemie hat uns in der Erreichung der gesetzten Ziele zurückgeworfen. Was wir nun brauchen ist eine Bündelung aller menschlichen, finanziellen und natürlichen Ressourcen, um die Rückschritte aufzuholen und die Ziele doch noch zu erreichen. Militärische Aktionen sind dabei wenig hilfreich; sie verringern unsere Kraft und lenken unsere Aufmerksamkeit ab. Beides brauchen wir dringend, um dem Klimawandel, der Pandemie, der sich vergrößernden Armut, dem Hunger und der Zerstörung der natürlichen Ressourcen erfolgreich entgegenzuwirken.

Ich bitte deshalb nachdrücklich alle Konfliktparteien, bald einen Modus Vivendi zu finden, der es uns erlaubt, gemeinsam in großen und kleinen Ländern die globalen Ziele umzusetzen. Sehr wahrscheinlich wird ein Teil des aktuellen Konfliktstoffs verschwinden, da wir andere, bessere Lebensbedingungen für die von den Konflikten betroffenen Menschen schaffen werden.

Ich vertraue auf die Einsicht der betroffenen Regierungen und biete als Generalsekretär der Vereinten Nationen mich und das globale Netz meiner Mitarbeiter an, um diese schwierige, aber notwendige Wende zu vollbringen.

Kerstin Leitner, Dozentin für internationale Politik an der FU Berlin und der Universität Potsdam, war von 1975 bis 2005 für die Vereinten Nationen tätig. Sie ist Präsidiumsmitglied der DGVN.

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