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Zwischen Krankheit und Misinformation: Gefahren der UN-Friedenskonsolidierung

Krankheiten und die Verbreitung von Misinformation erschweren die Arbeit in der UN-Friedenskonsolidierung zunehmend. Es bedarf dringender Reformen, welche die Legitimitäts- und Sicherheitskrise der UN adressieren.

Blauhelmsoldaten der MINUSMA-Mission patrouillieren auf dem Konna-Markt in Mali. UN Photo/Gema Cortes

Friedensmissionen der Vereinten Nationen werden gefährlicher und tödlicher – so die allgemeine Wahrnehmung. Operationen wie MINUSMA in Mali oder MONUSCO in der Demokratischen Republik Kongo werden vermehrt in Konfliktregionen eingesetzt, in denen es nicht um die Implementierung eines bestehenden Friedensabkommens geht. Vielmehr ist es Priorität dieser Missionen, durch offensive Operationen den Schutz der Zivilbevölkerung vor bewaffneten Gruppen zu gewährleisten. 

Dieser Trend, Friedenssoldatinnen und -soldaten ins Zentrum des Konfliktgeschehens zu rücken, geht Hand in Hand mit einer weiteren Entwicklung: anhaltende Budgetkürzungen. Die USA, aber auch andere Länder wie Schweden und Indien haben ihre Ausgaben für UN-Friedenskonsolidierung (engl. Peacebuilding) zuletzt drastisch gekürzt. In Folge hat sich das Budget seit 2015 um 23 % reduziert. Wie Generalsekretär António Guterres 2018 festhielt, sind Blauhelme „oft unzureichend ausgerüstet und unzureichend vorbereitet“. Wenn finanzielle Mittel gekürzt werden, zwingt dies Friedensbildende (engl.  Peacebuilders), mit weniger möglichst mehr zu leisten – ein gefährlicher Trend mit häufig schwerwiegenden Folgen.

Besonders MINUSMA, welche zum 31. Dezember ihrem vollständigen Abzug vollzog, machte immer wieder traurige Schlagzeilen. Mehrfach kam es zu Attacken von bewaffneten Gruppen auf die Mission, wie zum Beispiel im Juni 2023 während einer Patrouille in Ber (Timbuktu Region). Seit Beginn der Mission sind mehr als 300 Mitarbeitende gestorben – ein Großteil diente als Soldatinnen und Soldaten. Auch im Libanon kommt es immer wieder zu Attacken gegen Blauhelme, so wie auch in der Zentralafrikanischen Republik, wo nach einer Attacke im Januar 2024 ein Soldat starb und fünf weitere verletzt wurden. Seit 1948 sind insgesamt über 4100 Friedensbildende gestorben, die meisten aus Ländern des Globalen Südens wie Bangladesch, Ghana und Pakistan

Krankheiten als Haupttodesursache

Diese Zahlen sind erschreckend. Sie werfen wichtige Fragen über die Vulnerabilität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von UN-Friedenskonsolidierungsmissionen auf. Gleichzeitig verdienen sie eine genauere Betrachtung. Wenngleich Attacken auf UN-Soldaten und Soldatinnen wiederholt Schlagzeilen machten, verdeutlichen Untersuchungen, dass Friedensoperationen im historischen Vergleich keineswegs “tödlicher” geworden sind. Eine Studie vom „International Peace Institute“ (IPI) zeigt, dass gemessen an der Zahl der UN-Friedensbildenden die Todesraten bis 2016 rückläufig waren. Selbst die Todesraten durch „malicious acts“, also kriegerische Auseinandersetzungen, seien im Beobachtungszeitraum leicht zurückgegangen (für aktuelle Zahlen siehe hier).

Hieran anknüpfend ergibt es nicht nur Sinn zu fragen, wie viele Friedensbildende starben, sondern auch wodurch. Die offiziellen Statistiken der UN belegen, dass Krankheiten die Haupttodesursache sind – gefolgt von Unfällen (siehe auch IPI-Studie). Heilbare Krankheiten wie Malaria führen noch immer zum Tod von UN-Personal in Friedensmissionen. Zusätzlich erlangte die Cholera-Epidemie, die Haiti im Jahr 2010 heimsuchte, traurige Bekanntheit. Die Krankheit, die sich von einem Stützpunkt der UN rasant auf die Bevölkerung verbreitete, kostete mindestens 10.000 Menschen das Leben. Um von „einer Gefahr für die öffentliche Gesundheit zu einem Wächter der öffentlichen Gesundheit“ zu werden, bräuchte es zahlreiche Reformen. Durch Investitionen könnten beispielsweise Feldlazarette besser ausgestattet oder Hygiene- und Sanitärmaßnahmen verstärkt werden - wichtige Schritte, die dennoch unter den laufenden Budgetkürzungen unrealistisch erscheinen.  

Die Gefahr der Misinformationen

Der kontroverse Umgang mit der Cholera-Epidemie in Haiti hat dem Ruf der Friedensbildenden nachhaltig geschadet. Auch in der Demokratischen Republik Kongo hat sich die Beziehung zwischen der lokalen Bevölkerung und der UN-Operation MONUSCO in den letzten Jahren drastisch verschlechtert. Immer wieder kommt es zu Protesten und Demonstrationen gegen MONUSCO, welche von vielen Kongolesinnen und Kongolesen als ineffektiv wahrgenommen wird. Teile der kongolesischen Bevölkerung haben durch Kampagnen wie „Zero MONUSCO“ offen zu Gewalt gegen Blauhelme aufgerufen. Sie werfen Steine und blockieren Straßen, um gegen die Präsenz MONUSCO zu demonstrieren und ihrer Enttäuschung in Anbetracht anhaltender Gewalt Ausdruck zu verleihen. 

In Teilen wird diese Wahrnehmung auch von Misinformation über MONUSCO genährt. Forschende wie Trithart verweisen immer wieder darauf, dass bewusst platzierte Fake News über UN-Operationen an langjährige Frustrationen, tatsächliches Fehlverhalten von Blauhelmen und die anhaltende Enttäuschung über die mangelnde Mandatsausübung anknüpfen. 

Häufig dienen die Narrative, die Misinformation und auch gezielten Kampagnen zugrunde liegen, als eine Erklärung für das Scheitern der UN. In den sozialen Netzwerken zirkulieren zahlreiche Videos und Bilder, die beispielsweise belegen sollen, wie MONUSCO Waffen an bewaffnete Gruppen verkaufe oder am illegalen Mineralien-Schmuggel beteiligt sei (siehe Congo Check). Dies verstärkt die Annahme, dass die Blauhelme in Wahrheit nicht im Kongo seien, um Frieden zu stiften. Stattdessen werden sie beschuldigt, mitschuldig am Krieg zu sein und von der anhaltenden Instabilität zu profitieren. Ähnliche Narrative haben auch in der Zentralafrikanischen Republik und Mali zu offener Gewalt gegen die UN geführt. Es ist zu erwarten, dass sich diese Entwicklungen durch die Profilierung von Künstlicher Intelligenz weiter verschärfen. Bintou Keita, die Leiterin von MONUSCO, bezeichnete den Kampf gegen Misinformation jüngst als „einen Krieg, der über soziale Medien, das Radio und traditionelle Nachrichtenkanäle geführt wird“.

Legitimitätskrise als Sicherheitskrise

Fraglich bleibt, wie die UN diesen “Krieg” gewinnen können und wer in diesem Szenario überhaupt der vermeintliche “Feind” ist. Feststeht, dass die UN auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung angewiesen sind. Wenn sich die Menschen vor Ort zunehmend gegen die UN-Friedensmission stellen, wird es schwieriger, das Mandat erfolgreich umzusetzen, was wiederum die lokale Legitimität vor Ort weiter verringert. Dieser Teufelskreis gefährdet auch zunehmend die Sicherheit des UN-Personals. Wenn UN-Mitarbeitende, wie nach den großen Protesten in Goma im Sommer 2022, tagsüber nicht mehr ihr Haus verlassen können, zeigt dies mehr als deutlich, dass die Legitimitätskrise der UN längst zu einer Sicherheitskrise geworden ist. Es kann nicht das Ziel der UN sein, den Status Quo zu erhalten: Was gefordert ist, sind weitreichende Reformen und ein generelles Umdenken. So könnte eine engere Partnerschaft mit lokalen Akteuren vor Ort beispielsweise auch die krankheitsbedingten Gesundheitsrisiken des UN-Personals maßgeblich reduzieren. Angesichts der dynamischen Sicherheitslage weltweit haben die UN ihre Rolle für Frieden und Sicherheit immer wieder neu definiert. Wenn die UN im Bereich Friedenskonsolidierung auch weiterhin relevant bleiben wollen, müssen sie jetzt die nötigen zukunftsweisenden Schritte unternehmen, um in einer multipolaren Welt zu bestehen und einen Weg aus der eigenen Legitimitäts- und Sicherheitskrise zu finden. 

Stephanie Jänsch (M.A.) promoviert zum Thema Widerstand gegen UN-Missionen an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg.

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