Menü

Debatte: Der richtige Gipfel zur falschen Zeit?

Auf einem eigenen Gipfel wollen sich die Verein­ten Nationen fit für die Zu­kunft machen. Im Weg stehen aller­dings die Kon­flikte der Gegen­wart. Ein Mei­nungs­bei­trag.

Ein Teilnehmer sitzt im Saal der Generalversammlung nutzt sein Handy, das Display leuchtet, der Raum ist ansonsten dunkel, im Hintergrund leuchtet noch eine Anzeige mit der Aufschrift Summit of the Future.
Eröffnung der "Action Days" im Vorfeld des Zukunftsgipfels. (UN Photo/Loey Felipe)

Wenn vom 22. bis 23. September in New York die Staats­- und Re­gie­rungs­chefs zu­sammen­kommen, dann steht nicht weniger auf dem Spiel als die Zukunft der Mensch­heit und des Planeten. Bereits die Gegen­wart führt uns vor Augen, vor welchen mas­siven Problemen wir alle stehen: Klima­wandel, ein mögliches kra­chendes Scheitern der Um­setzung der Agenda 2030 für nach­haltige Ent­wicklung und damit der Ziele für nach­haltige Ent­wicklung (SDGs). Hinzu kommen die bekan­nten der­zeitigen Konflikte und kriege­rischen Aus­einander­setzungen. Das Ziel des Gipfels ist es eigentlich, einen Zukunfts­pakt zu verab­schieden. Es geht darum, den Multi­later­alismus neu zu be­leben sowie die UN fit für die Zukunft zu machen, um eben die Agenda 2030 endlich global um­zusetzen.

Die Idee von UN-General­sekretär António Guterres, einen der­artigen Gipfel zu organisieren, kam ihm im Jahr 2021 mit seinem Bericht „Unsere Gemein­same Agenda“ (Our Common Agenda) nicht von ungefähr: Schon seit einigen Jahren nehmen politische Span­nungen auch im UN-System zu und spätestens die COVID­-19-Pan­demie führte der Menschheit erneut vor Augen, dass grenz­über­schreiten­de Probleme nur gemeinsam gelöst werden können. Nach nun­mehr Jahren der Vorbe­reitungen, Verhand­lungen und auch Ver­härtung­en der Konflik­tlinien könnten die zahl­reichen Maß­nahmen endlich verab­schiedet werden, wären da nicht die zahl­reichen Konflikte innerhalb der Staaten­gemein­schaft. Schließlich kommt es auf den Nach­folge­prozess an, damit das Verein­barte auch tatsächlich umgesetzt wird. Die Themen des seit Ende letzten Jahres unter der Leitung von Deutschland und Namibia geführten Ver­handlungs­prozesses sind ehrgeizig.

Es geht um Fragen zu nach­haltiger Entwicklung und Ent­wick­lungs­finanzierung; zu Frieden und inter­nationaler Sicherheit; zu Wissen­schaft, Techno­logie und Inno­vation und digitaler Zusammen­arbeit; zu Jugend und künftigen Gen­eration­en sowie zur Trans­formation der Global Gover­nance, also um die Reform des UN-­Systems. Die Sache hat aber zwei wesen­tliche Haken: Zum einen ist der Zukunfts­pakt für alle Staaten nicht völker­rechtlich verbindlich und zum anderen haben sich alle darauf geeinigt, das Dokument im Konsens zu verab­schieden. Im unmittel­baren Vorfeld des Gipfels werden erfahrungs­gemäß konkrete Handlungs­passagen oder Kontro­verses gestrichen, wodurch das Dokument verwässert wird. Zudem droht das Dokument viele Problem­lösungen durch Prüfauf­träge an den UN-General­sekretär wahrlich in die Zukunft zu verla­gern, anstatt sie im Hier und Jetzt für die Zukunft zu lösen.

Wie ein schlei­chen­des Gift durchziehen diese Konflikte das UN-Sys­tem, polari­sieren die 193 UN-Mit­glied­staaten.

Anders­herum könnte man jedoch auch sagen, dass dieser Prozess zum Zukunfts­gipfel eben ein Kaleidos­kop der inter­national­en Bezieh­ungen ist; eine globale Be­stands­auf­nahme, die zeigt, wo wir stehen. Ein der­artiges Dokument fasst die zahlreichen Ideen, Wert­vorstel­lungen, Normen, Visionen für alle einmal schwarz auf weiß zusammen. Das bedeutet aber auch, dass Konflikte und Hand­lungs­unfähig­keiten ebenso für alle dokumentiert sind und von der inter­national­en Staaten­gemein­schaft diskutiert werden müssen. Deutlich zeigt sich dies im be­handel­ten Kapitel zu Frieden und Sicherheit. Seit Jahren verfestigt sich der Eindruck, dass die Rolle der Vereinten Nationen bei der Wah­rung des Friedens und der inter­natio­nalen Sicherheit – ihrem eigent­lichen Kern­mandat seit ihrer Gründung nach dem Zweiten Welt­krieg – zu schwinden scheint. Trotz des massiven Elends der Zivil­bevölke­rungen sehen wir kaum politische Einfluss­möglich­keiten, etwa des UN-General­sekretärs, im Fall des rus­sischen Angriffs­krieges gegen die Ukraine wie auch im Konflikt zwischen Israel und der Hamas, vor allem im Gaza­streifen. Wie ein schleichendes Gift durch­ziehen diese Konflikte das UN-System, polari­sieren die 193 UN-Mitglied­staaten – am offen­kundigsten im UN-Sicher­heitsrat, jedoch auch in der UN-General­versammlung – und sie er­schweren die inter­natio­nale Zusammen­arbeit.

Zu den UN-Friedens­missionen – dem promi­nentesten Werk­zeug der UN zur Konflikt­bearbeitung – heißt es im aktuellen Entwurf des Zukunfts­pakts lediglich, dass der General­sekretär aufge­fordert wird, „eine Über­prüfung der Zukunft aller Formen von Friedens­einsätzen der Vereinten Nationen“ durchzu­führen. Das ist zu wenig. Aber mangels ausbleibender Erfolge großer UN-Friedens­missionen ist sich die Staaten­gemein­schaft uneinig, wie die Blauhelm­einsätze der Zukunft aus­sehen sollen, und delegiert diese Frage weiter. Ebenso gibt es zum Aspekt von Sanktionen – als Mittel, um Konflikt­parteien zu einer Ver­haltens­änderung zu zwingen – im Dokument lediglich den Hinweis, dass Staaten davon absehen sollten, „ein­seitige wirtschaft­liche Maß­nahmen“ gegen andere zu verhängen. Das Instrument als solches wird mittlerweile von vielen Staaten – abge­sehen von den USA und den europäi­schen Staaten – infrage gestellt. Außer auf die Stärkung von Diplo­matie und Mediation zu verweisen, kann der Zukunfts­pakt nicht viel mehr leisten, da er nicht fall­bezogen ist und die Fälle schlicht zu unter­schiedlich sind.

Neu ist hin­gegen, dass die UN laut Entwurf Res­sourcen investieren sollten, um Staaten bei der Ent­wicklung interner Mecha­nismen zur Konflikt­prävention zu unterstützen sowie nationale Präventions­strategien und -ansätze zu verfolgen, anstatt sich auf externe Krisen­manage­ment­maß­nahmen zu verlassen. Auf die Notwendigkeit, die Ent­scheidungen inter­natio­naler Gerichte und Tribunale – vor allem die des Inter­natio­nalen Gerichts­hofs (ICJ) – bei der Bewäl­tigung von Konflikten zwischen Staaten zu befol­gen, wird noch einmal nachdrücklich hinge­wiesen. Der Inter­nationale Straf­gerichts­hof (ICC) hingegen wird überhaupt nicht erwähnt, da nur etwas weniger als zwei Drittel aller Staaten überhaupt Mitglied des Römi­schen Statuts sind. Und schließlich wurde der Appell an die fünf ständigen Mitglieder des Sicher­heits­rats, ihr Veto gegen Resolu­tionen, die sich mit Massen­verbrechen befas­sen, nicht einzu­setzen, in der aktuellen Überar­beitung gestrichen. Dies bestätigt noch einmal die berechtigte Frustration der meisten anderen UN-Mit­glied­staaten über die Arbeit des Sicher­heitsrats. Dessen Reform hat trotz zahl­reicher Forde­rungen nach wie vor wenig Aussicht auf Erfolg.

Die Sorgen vieler Staaten bezüg­lich Frieden und inter­natio­naler Sicherheit sind ein be­sorgnis­erre­gendes Zeichen für den Zustand der Welt und den Status der Welt­orga­nisa­tion.

Die UN-Mit­glied­staaten sehen den Zukunfts­gipfel jedoch durchaus als Gelegen­heit, das Engage­ment der Vereinten Nationen in Fragen von Frie­den und Sicher­heit neu aus­zuba­lancieren, weg von inter­ventio­nis­tischen und sicherheits­orientierten Blauhelm­einsätzen zur Friedens­stabilisie­rung hin zu stärker entwicklungs­orientierten, konsensualen Unter­stützungs­formen. Dies spricht besonders viele Staaten des so­genan­nten Globalen Südens an, die ihr souveränes Recht betonen wollen, äußere Ein­mi­schung zu blockieren, gleichzeitig aber auch stark über wirt­schaft­liche Belas­tungen ihrer Gesell­schaften besorgt sind. Hinsichtlich des Re­ssourcen­ein­satzes dürfte dies auch durchaus den UN entgegen­kommen: Einen Konflikt­präven­tions­an­satz verfolgt António Guterres bereits seit Jahren, da er angesichts der immer knap­peren Mittel, die von den Staaten zur Verfü­gung gestellt werden, hinsichtlich Personal und Finanzen genau­estens prüfen muss, wo und wie sich die UN überhaupt noch enga­gieren können.

Eine große Sorge, was im Zukunfts­pakt­ent­wurf zum Ausdruck kommt, ist das Risiko eines großen zwischen­staat­lichen Krieges, bei dem wichtige neue Techno­logien wie Künst­liche In­telli­genz – und im schlimmsten Fall Atom­waffen – zum Einsatz kommen könnten. Der Entwurf des Kapitels über Frieden und Sicherheit warnt direkt vor „den Risiken eines Atom­kriegs, der eine existen­zielle Bedrohung für die Menschheit darstellen könnte“. Er fordert die Atom­mächte auf, ihr letzt­end­liches Verspre­chen der vollständigen Abrüs­tung, das auf den Nich­tverbreitungs­vertrag im Jahr 1968 zurückgeht, endlich umzu­setzen, und drängt sie dazu, Maß­nahmen zu ergreifen, um die Risiken eines nuklearen Konflikts zu ver­ringern. Derzeit spricht aber alles gegen ernst­hafte Abrüstungs­bemü­hungen.

Geo­poli­tische Konflikte drücken sich also ernsthaft im Zukunfts­pakt­entwurf aus. Die Sorgen vieler Staaten bezüglich Frieden und inter­natio­naler Sicher­heit sind ein besorgnis­erre­gendes Zeichen für den Zustand der Welt und den Status der Welt­orga­nisation. Der Zukunfts­gipfel könnte dies noch einmal offen­legen. Der frühere, charis­matische und stark von den Werten der UN geprägte General­sekretär Dag Hammar­skjöld sagte im Jahr 1954 zu Hochzeiten des Ost-West-Kon­flikts, dass „die Vereinten Nationen nicht geschaf­fen wurden, um uns in den Himmel zu bringen, sondern um uns vor der Hölle zu retten“. Dies mag unver­ändert Bestand haben. Bemerkens­wert ist in diesem Zusammen­hang, dass dieses Zitat eigentlich dem da­maligen Ständigen Vertreter der USA bei den UN, Henry Cabot Lodge Jr., zuge­schrieben wird. Und dieser wiederum bezieht sich auf den bri­tischen Premierminister Winston Churchill. Falls Churchill dies tatsächlich gesagt haben sollte, so steckt in diesem Satz viel mehr Geo­politik, als wir meinen, mit der die Vereinten Nationen seit dem Jahr 1945 um­gehen müssen. Vor diesem Hinter­grund kann der Zu­kunfts­gipfel aber auch durchaus eine Chance sein, um Schlim­meres zu verhindern und das Kern­mandat der UN – laut ihrer Charta: „künftige Ge­neratio­nen vor der Geißel des Krieges zu bewahren“ – wieder lang­fristig mit Leben zu füllen. Es wird nicht der richtige Gipfel zur falschen Zeit sein, sondern der richtige Gipfel zum ent­scheidenden Zeitpunkt.

Dr. Patrick Rosenow, Leitender Redak­teur der Zeit­schrift Ver­einte Nationen

Der Artikel “Der richtige Gipfel zur falschen Zeit?” von Patrick Rosenow erschien am 19.09.2024 im IPG-Journal. 

Das könnte Sie auch interessieren


  • Zukunftspakt: Ein Turbo für den Multilateralismus?

    Zukunftspakt: Ein Turbo für den Multilateralismus?

    23.08.2024
    Der bevorstehende UN-Zukunftsgipfel im September dieses Jahres in New York soll das Vertrauen in internationale Kooperation stärken und die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (Agenda 2030) vorantreiben. Erste Entwürfe des geplanten Zukunftspakts… mehr

  • Deutschland und die Zukunft der Vereinten Nationen

    Deutschland und die Zukunft der Vereinten Nationen

    21.08.2023
    Im September 2020 begingen die Vereinten Nationen ihr 75. Gründungsjubiläum. Drei Jahre später nun feiert Deutschland seine 50-jährige UN-Mitgliedschaft. Beide woll(t)en ihre Geburtstage nutzen, um sich noch besser für zukünftige Herausforderungen… mehr

  • »Der richtige Gipfel zum entscheidenden Zeitpunkt.«

    »Der richtige Gipfel zum entscheidenden Zeitpunkt.«

    23.08.2024
    Interview mit Michèle Griffin, der Direktorin und Leiterin des Teams für den Zukunftsgipfel im Büro des UN-Generalsekretärs, über die bedeutende Rolle der Vereinten Nationen, die Vorbereitungen auf den Zukunftsgipfel und das ambitionierte Ziel, dass… mehr