Eskalierende Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo
Bereits zu beschreiben, wer ‚Mouvement du 23 Mars‘ (M23) ist, ist hochpolitisch. Der Krieg – oder eher die Kriege – in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) sind immer auch Kriege um die Wahrheit beziehungsweise die Deutungshoheit. Dennoch kann man die aktuelle Situation nicht verstehen, ohne M23 einzuordnen.
M23 ist eine überwiegend aus kongolesischen Tutsi bestehende Rebellengruppe, die 2012 gegründet wurde, und von Ruandas sowie im geringeren Maße von Ugandas Regierung unterstützt wird. Beide Länder leugnen bis heute diese Unterstützung. Unter der aktuellen Führung von Corneille Nangaa erhebt M23 den Anspruch, die Interessen der kongolesischen Tutsi und anderer Minderheiten zu verteidigen und sie vor Angriffen durch Hutu-Milizen, deren Kämpfer in Teilen für den Genozid in Ruanda von 1994 verantwortlich sind, zu schützen. Nangaa selbst war Leiter der Wahlkommission der umstrittenen Wahl von 2018. Nachdem er 2021 aus seinem Amt entlassen wurde, gründete er 2023 die ‚Alliance Fleuve Congo‘ (AFC). Diese politische und militärische Allianz vereint zahlreiche politische Parteien und bewaffnete Gruppen, darunter die M23, mit dem Ziel, Präsident Félix Tshisekedi zu stürzen.
Unter den Augen der Stabilisierungsmission der Organisation der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo (Mission de l'Organisation des Nations Unies pour la stabilisation en République démocratique du Congo - MONUSCO) gelang es M23 bereits im November 2012 Goma einzunehmen. Damals zogen sie sich jedoch nach Verhandlungen nach zehn Tagen zurück. UN-Berichte belegten Ruandas Unterstützung für M23. Der internationale Druck auf den ruandischen Präsidenten Paul Kagame wuchs und über 200 Millionen US-Dollar an Hilfen wurden gestrichen. Die UN erweiterten MONUSCOs Mandat. Die Mission, und vor allem die integrierte Interventionsbrigade (Force Intervention Brigade), wurde mandatiert ‚Peace Enforcement‘ durchzuführen, also offensiv mit Waffengewalt gegen bewaffnete Gruppen vorzugehen.
Es folgte der militärische Sieg der kongolesischen Regierung im Oktober 2013, doch militärische Erfolge erweisen sich als wenig nachhaltig, wenn sie nicht in einen politischen Prozess eingebettet sind. Im Osten der DRK blieben viele Ursachen der Konflikte ungelöst. Dazu gehören historisch bedingte Konflikte über Land- und Ressourcenverteilung sowie die noch immer umstrittene Staatsangehörigkeit von kongolesischen Minderheiten wie den Banyamulenge, die immer wieder staatlicher Gewalt ausgesetzt sind.
Die neue Offensive seit 2021
Es ist deshalb auch die Verantwortung der kongolesischen Regierung unter Präsident Félix Tshisekedi, dass M23 im November 2021 eine erneute Offensive startete. Als M23 mit Unterstützung der ruandischen Armee nun Frühjahr 2025 Sake, Goma und Bukavu einnahm, ließen sie sich medienwirksam als Befreiungsarmee feiern. Befreiung von einem Regime, dessen Armee für Menschenrechtsverbrechen bekannt ist. Befreiung von einem Präsidenten, der sein politisches Überlegen durch eine Verfassungsänderung absichern will, während er häufig gegenüber dem Leid der Menschen im Osten der DRK gleichgültig zu scheint.
Trotz dieser schlechten Regierungsführung ist und bleibt M23 für viele Kongolesinnen und Kongolesen keine Befreiungsarmee, sondern eine militärische Besatzung. Inwiefern Teile der Bevölkerung in Goma und Bukavu freiwillig ihren „Befreiern“ zujubelten, ist höchst fragwürdig. Während der jüngsten Kämpfe in und um Goma starben mindestens 3000 Menschen. Die Aktivisten und Aktivistinnen der Jugendbewegung LUCHA kritisieren, dass M23 besonders die kongolesischen Zivilgesellschaft attackiert. Tausende gingen in Kisangani und Kinshasa gegen M23 auf die Straße. Auch die Diaspora mobilisierte, zum Beispiel in Brüssel. Die Besetzung Bukavus scheint die größte Sorge vieler Kongolesen und Kongolesinnen zu bestätigen: Sie fürchten, dass sich der Zweite Kongokrieg (1998–2003), der aufgrund seiner regionalen Dimension und hohen Opferzahlen auch als Afrikanischer Weltkrieg bekannt ist, nun wiederholt.
Regionale Spannungen und internationale Implikationen
Auch dieses Mal verschärfen sich die regionalen Spannungen. Neben MONUSCO ist seit Dezember 2023 eine Mission der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas (Southern African Development Community - SADC) unter südafrikanischer Führung eingesetzt. SAMIDRC soll mit der kongolesischen Armee und mit MONUSCOs Unterstützen gegen bewaffnete Gruppen kämpfen. Mindestens 13 südafrikanische und zwei tansanische Soldaten wurden in den letzten Wochen getötet. Während Ruandas Präsident Kagame Südafrika vorwirft, die kongolesische Regierung „im Kampf gegen ihre eigene Bevölkerung“ zu unterstützen, warnte die südafrikanische Verteidigungsministerin Angie Motshekga, dass Angriffe auf südafrikanische Soldatinnen und Soldaten als Kriegserklärung betrachtet würden.
Der Krieg wird sich in den kommenden Wochen territorial ausweiten, denn das erklärte Ziel der M23 ist der Sturz der kongolesischen Regierung in Kinshasa. Laut Jason Stearns, einem der Gründungsmitglieder der Congo Research Group, wird die Kriegsentwicklung maßgeblich von der internationalen Gemeinschaft abhängen. Die deutsche Regierung sagte geplante Regierungskonsultationen mit Ruanda ab. Es könne unter den gegebenen Umständen kein „business as usual“ geben. Wenige Tage später bestellte das Auswärtige Amt den Botschafter Ruandas in Berlin ein. Das Europäische Parlament sprach sich für die unverzügliche Aussetzung des EU-Ruanda-Abkommens über kritische Rohstoffe aus und fordert die EU-Kommission auf, ergänzende wirtschaftliche sowie diplomatische Schritte zu erwägen. Ruanda selbst setzt nun die Entwicklungszusammenarbeit mit Belgien aus. Belgiens Außenminister Bernard Quintin hatte wiederholt Maßnahmen gegen Ruanda gefordert. Kagame reagierte auf das mögliche Wegfallen internationaler Gelder mit drastischen Steuererhöhungen. Die finanzielle Last trifft hierbei vor allem die Bevölkerung – nicht die politischen Entscheidungsträger.
Dennoch sind diese Schritte wichtig und notwendig, besonders da sich viele in der kongolesischen Bevölkerung durch die fortlaufende militärische Unterstützung der Streitkräfte Ruandas durch die EU ohne Berücksichtigung der Situation im Osten der DRK verraten fühlen. Spricht man mit Kongolesinnen und Kongolesen, dann hört man immer wieder, dass die DRK international wenige Freunde und Verbündete habe. Wie in den meisten Gewaltkonflikten, trägt auch in diesem Krieg die Zivilbevölkerung die höchste Last. Umso wichtiger ist es, durch konkrete und koordinierte Maßnahmen klarzumachen, dass grundlegende Prinzipien wie Souveränität und territoriale Integrität überall gelten – und dass jedes Menschenleben gleich zählt.
Stephanie Jänsch