Fit für die Zukunft? Prioritäten für eine Stärkung der Peacekeeping-Architektur
Die Zeiten, in denen UN-Peacekeeper als neutrale Beobachterinnen und Beobachter von Friedensprozessen eingesetzt wurden, sind längst vorbei. Heutzutage operieren die Blauhelme in komplexeren und risikoreicheren Umgebungen als je zuvor. Zwei Drittel der insgesamt 110.000 Peacekeeper sind in anhaltenden Konfliktsituationen stationiert. Dort stehen sie etwa bewaffneten militanten Gruppen und organisierten kriminellen Banden gegenüber. Die aktuellen multidimensionalen UN-Friedenseinsätze haben daher nicht nur die Aufgabe, an diesen Orten eine Art Frieden zu erhalten, sondern auch gewaltbereite Extremisten zu bekämpfen, Zivilisten und Menschenrechte zu schützen, den politischen Dialog zu fördern oder bei der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration ehemaliger Kämpfer zu helfen.
Angesichts der zunehmend asymmetrischen Bedrohungslandschaft und steigender Opferzahlen unter dem Personal von UN-Friedensmissionen veröffentlichten das Department of Peacekeeping Operations und Department of Field Support im Januar 2018 den Cruz Report, einen Expertenbericht zur Stärkung der Sicherheit für UN Peacekeeper. Mit der ernüchternden Feststellung, dass für Peacekeeper der blaue Helm und die Flagge der Vereinten Nationen keinen natürlichen Schutz mehr bieten würden, fordert der Bericht robustere Mandate für Friedensmissionen, eine bessere Ausstattung für Truppen sowie ein Umdenken bei der Anwendung von Gewalt, hin zu mehr Risikobereitschaft um Gefahrensituationen gegebenenfalls auch proaktiv zu begegnen. Die DGVN veröffentliche vor Kurzem eine ausführliche Analyse zum Inhalt des Berichts und griff dessen Aktionsplan zur Verbesserung der Sicherheit für Peacekeeper kritisch auf.
Unabhängig der Forderungen des Cruz-Berichts steht fest, dass UN-Friedenseinsätze sich an die neuen Realitäten heutiger Konflikte anpassen müssen um ein wirksames Instrument zur Förderung von Frieden und Sicherheit in der Welt zu bleiben. Jede Mission ist aufgrund lokaler Gegebenheiten und politischen Überlegungen unterschiedlich, so bestehen dennoch einige Prioritäten, die allen UN-Friedensmissionen dabei helfen können, notwendige Strukturreformen anzustoßen. Die künftige Peacekeeping-Architektur sollte auf strategischen und regionalen Partnerschaften aufbauen, Kapazitäten zur Konfliktprävention stärken und neue Technologien nutzen, um den Frieden im 21. Jahrhundert effektiv zu erhalten.
Ausbau von Strategischen und Regionalen Partnerschaften
Eine wesentliche Herausforderung für UN-Friedensmissionen besteht weiterhin darin, Staaten mit fortgeschrittenen militärischen Fähigkeiten und technischem Fachwissen dazu zu bringen, in Zukunft nicht nur als Finanzierer, sondern auch stärker als Truppensteller aufzutreten. Der vielleicht vielversprechendste Weg hierfür ist der Aufbau einer strategischen Partnerschaft mit der Europäischen Union (EU), die eine engere Zusammenarbeit mit der UN im Bereich der Friedenserhaltung sowie der Krisenprävention und -bewältigung anstrebt. Die EU ist in einzigartiger Weise dazu befähigt, der UN beim Aufbau von Kapazitäten für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit zu helfen. Dies ist insbesondere in komplexen Friedensmissionen der Fall, für die die regulären truppenstellenden Länder schlecht ausgerüstet sind. Die EU-Mitgliedstaaten stellen kollektiv den größten finanziellen Beitrag des Peacekeeping-Haushalts dar und Friedenseinsätze der UN befassen sich auch mit den wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Prioritäten der EU in den Bereichen Terrorismusbekämpfung, Rechtsstaatlichkeit und der Förderung von Frauen in Frieden und Sicherheit.
Erste Ergebnisse einer verstärkten Politikkohärenz, gemeinsamer Ausbildungsmaßnahmen und des Engagements der EU zur Unterstützung von UN-Friedensmissionen in den letzten Jahren erscheinen vielversprechend. In Mali unterstützte EUTM Mali die Ausbildung lokaler Sicherheitskräfte und Malis Regierungsarmee, die darauffolgende Eucap Sahel Mali-Mission entsandte EU-Expertinnen und Experten für den lokalen Kapazitätsaufbau und für Reformen im Sicherheitssektor. In der Zentralafrikanischen Republik legte die EUFOR RCA-Mission den Grundstein für die spätere UN-geführte MINUSCA-Mission.
In Afrika, wo die UN derzeit den Großteil ihrer Friedensmissionen durchführt, bedeutet der Aufbau von Partnerschaften eine Stärkung der Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union und anderen regionalen und subregionalen Organisationen wie ECOWAS oder IGAD. Während die UN bereits in den Gebieten der Konfliktprävention, Mediation und Friedenssicherung mit der AU kooperiert, werden in Zukunft hybride oder ergänzende Einsätze von UN und AU wahrscheinlich eine größere Rolle spielen. Diese hybriden Mandate können den Missionen wichtiges politisches Kapital hinzufügen, welches sich besonders bei Friedensverhandlungen mit lokalen Akteuren als wertvoll erweisen kann.
Stärkung von Konfliktpräventionsmaßnahmen
UN-Generalsekretär António Guterres bekräftigte in seinem Vision-Statement die Dringlichkeit einer „Kultur der Prävention“, die Konflikte durch politische Lösungen und nachhaltige Entwicklung vorbeugen soll. Eine wichtige Strategie zur Förderung von Stabilität und zur Konfliktvorbeugung besteht darin, mehr Frauen in UN-Friedenseinsätzen einzubeziehen, sowohl als Beteiligte lokaler Sicherheitssektoren als auch in den kritischen Entscheidungsgremien zur Konfliktmediation und Konfliktlösung. Die Verabschiedung der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates zur Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit war ein historischer und wichtiger Schritt. Die UN muss jedoch entschlossener handeln, um die Beteiligung von Frauen zu fördern und die Zusagen, die in der Resolution gemacht wurden, auch in die Realität umzusetzen.
Da es letztendlich in der Verantwortung der UN-Mitgliedstaaten liegt Personal für Friedensmissionen bereitzustellen, sollte die Gender-Mainstreaming-Strategie des Department of Peacekeeping Operations stärker hervorgehoben und die Reichweite und Zuständigkeit dessen Gender Advisors erweitert werden, um truppenstellende Länder zur Erhöhung des eigenen Frauenanteils zu ermutigen. Es gibt klare und überzeugende Belege dafür, dass die Beteiligung von Frauen an Friedens- und Konfliktpräventionsprozessen die Sicherheit von Peacekeepern erhöht, zu erfolgreicheren Präventionsprogrammen für Radikalisierung führt und die wirtschaftliche Erholung in von Konflikten betroffenen Regionen verbessert. Vielleicht am wichtigsten ist aber, dass Friedensverträge, an denen Frauen entschieden beteiligt waren, 35% häufiger mindestens 15 Jahre halten als ähnliche Vereinbarungen, die ausschließlich von männlichen Unterzeichnern abgeschlossen wurden.
Nutzung neuer Technologien
Die vom Generalsekretär eingeführte Reformagenda fordert gleichermaßen eine Ausweitung der technologischen Fähigkeiten von Friedenseinsätzen, um Peacekeeper flexibler und mobiler zu machen. Im Jahr 2015 stellte ein unabhängiges Expertengremium für Technologie und Innovation fest, dass es vielen UN-Friedensmissionen an den grundlegenden technologischen Hilfsmitteln mangelte. Die Missstände im Bereich Technologie seien zudem ein wesentlicher Grund für die Abneigung von Industrienationen, eigene Truppen in risikoreichen Operationen einzusetzen.
Eine verbesserte Einsicht in das Einsatzumfeld, insbesondere durch Informationen zu der Position von bewaffneten Gruppen sowie deren Absichten, stellt für Militärs ein grundlegendes Hilfsmittel für die präventive Risikoreduzierung in Missionen dar. Neue Technologien wie unbemannte Fluggeräte, auch bekannt als Drohnen, sind eine Möglichkeit dafür. Unbewaffnete Drohnen wurden erstmals im Dezember 2013 in der MONUSCO-Mission eingesetzt und halfen den Peacekeepern dabei, ihre Lagebeurteilung zu verbessern, Migrationsbewegungen zu überwachen und bewaffnete Gruppen im gebirgigen Gebiet der östlichen Demokratischen Republik Kongo zu verfolgen. Seitdem sind mit Kameras und Sensoren ausgerüstete Drohnen auch in anderen UN-Friedensmissionen zum Einsatz gekommen, einschließlich in Mali und der Zentralafrikanischen Republik, und deren Verwendung sollte nach Bedarf auf andere Einsätze ausgeweitet werden.
Die UN sollte sich auch dafür einsetzen, dass in den Friedensmissionen der Zukunft mehr Instrumente zur Informationsbeschaffung und Sammlung von Daten verwendet werden. Von der Satellitenaufklärung über Bodenüberwachungsradare und akustische oder seismische Sensoren, die Kosten für solche einstmals exklusiven Technologien sind inzwischen so dramatisch gesunken, dass selbst der bescheidene Peacekeeping-Haushalt Investitionen in diese Gerätschaften ermöglicht. Die Sammlung und Analyse von Daten zu Bewegungen oder Kriminalitätsschwerpunkten kann dann zu Erkenntnissen führen, die wiederum dazu genutzt werden können, die Warn- und Reaktionszeiten für Peacekeeper vor Ort zu verkürzen. Eine systematische und datengesteuerte Überwachung und Kartierung von Krisen kann auch für die Erstellung von Mustern und vorausschauenden Modellen hilfreich sein, um die Prävention von Menschenrechts- oder Waffenstillstandsverletzungen effektiver und kostenwirksamer zu gestalten.
Peacekeeping war niemals schwieriger als heute
Eine erfolgreiche Umsetzung der oben genannten Empfehlungen hängt wie immer von der notwendigen Finanzierung und dem politischen Willen der UN-Mitgliedsstaaten ab. Die Drohungen der US-Regierung, ihren Anteil am ohnehin schon bescheidenen Peacekeeping-Haushalt von 6,8 Milliarden Dollar, welcher übrigens weniger als die Hälfte eines Prozents der weltweiten Militärausgaben beträgt, zu senken, ist ein beunruhigendes Zeichen für multilaterale Bemühungen um international Frieden und Sicherheit zu gestalten. Für Friedensmissionen hängt der notwendige politische Wille weitgehend von den strategischen Interessen der P5-Mitglieder in Konfliktregionen ab. Die derzeitige gegenseitige Blockade im Sicherheitsrat zu humanitären Krisen wie in Syrien oder im Jemen stellt daher eine enorme Herausforderung für die Peacekeeping-Architektur der UN dar.
Und dennoch, die UN befinden sich nicht in einer existenziellen Krise. Seit seinem Amtsantritt hat Generalsekretär Guterres Reformbemühungen und Umstrukturierung der Organisation zu seiner Priorität erklärt. Die Diskussion um robustere Stabilisierungs- und Friedensmissionen wird auch in den nächsten Jahren weitergeführt werden. Vor dem Hintergrund einer wachsenden Akzeptanz in Deutschland, einen aktiveren Beitrag für Frieden und Sicherheit zu leisten, und der Aussicht auf einen Sitz als nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrates ab 2019, sollte sich die Bundesregierung aktiv an dieser Diskussion beteiligen.
Artikel von Felix Manig.
Der Artikel spiegelt die persönliche Sichtweise des Autors wider.