Jemen: regionale Eskalation im Roten Meer und mögliche Lösungsansätze
Der Sondergesandte des Generalsekretärs für Jemen (Special Envoy of the Secretary-General for Yemen) Hans Grundberg konnte damals verkünden, dass sich die beiden Kontrahenten auf einen Fahrplan zu Friedensgesprächen geeinigt hätten. Seit 2011 kämpfen in Jemen die im Norden herrschende Houthi-Bewegung (offiziell: Ansar Allah; Houthi ist der Name der Gründungsfamilie) auf der einen und die vor allem den Süden kontrollierende jemenitische Regierung auf der anderen Seite um die Herrschaft.
Ermöglicht wurde dieser UN-Fahrplan durch eine grundsätzliche Übereinkunft zwischen der Houthi-Bewegung und Saudi-Arabien, nach jahrelangen intensiven bilateralen Verhandlungen und teilweise vermittelt durch Oman. Die UN spielten hier eher eine Nebenrolle, da das Mandat des Sondergesandten vor allem auf die Unterstützung eines innerjemenitischen Dialogs fokussiert. Diese Verständigung umfasst wichtige Prinzipien des Friedensprozesses und kommt Schlüsselforderungen der Houthis weit entgegen. Dazu gehören die weitere Öffnung von Flug- und Seehäfen im Norden des Landes, Gehaltszahlungen für Staatsbedienstete und Militärs durch Öl- und Gaseinnahmen (temporär auch durch saudische Unterstützungszahlungen abgedeckt) und der Rückzug aller ausländischen Kämpfer. Die jemenitische Regierung und die Vereinigten Arabischen Emirate, die neben Saudi-Arabien zu den Hauptunterstützern der Regierung zählen, waren allerdings kaum in diesen Verhandlungsprozess eingebunden.
Gründe für die Eskalation im Roten Meer
Wenn der Houthi-Bewegung also eine durchaus attraktive Friedensperspektive in Aussicht gestellt wurde, warum eskalieren sie dann den Konflikt derart und greifen sowohl Handelsschiffe im Roten Meer als auch Israel an? Die Gründe hierfür dürften vorrangig in der ideologischen als auch opportunistischen Natur der Bewegung selbst liegen:
Die Houthi-Bewegung entstand in den 1990er-Jahren als Reaktion der Zaiditinnen und Zaiditen - eine eigentlich moderate schiitische Gruppierung im Norden des Jemen, die etwa 40% der jemenitischen Gesamtbevölkerung stellt - auf ihre vermeintliche politische und kulturelle Ausgrenzung. Neben traditionalistischen Gruppen setzt sie sich aber auch aus revolutionären Kräften und einem ideologischen islamistischen Kern zusammen. Vor allem von den beiden letzteren Akteuren wird der Nahost-Konflikt sowohl als religiöser Konflikt als auch als Teil des regionalen Widerstands gegen Israel und darüber hinaus gegen die USA gesehen. Die aktive Beteiligung am Nahost-Konflikt unterstreicht insofern eine grundlegende Ambition der Houthi-Bewegung, eine Führungsrolle in der islamischen Welt einzunehmen.
Damit einhergehend bietet die aktive militärische Unterstützung der palästinensischen Hamas aber auch die Gelegenheit, Sympathien in Jemen und darüber hinaus in der Region zu erlangen. Die Bewegung instrumentalisiert weitverbreitete Ressentiments. Und tatsächlich gibt es wenig Kritik am Vorgehen der Houthis aus der arabischen und islamischen Welt, da die Solidarität mit Palästina tief in den jeweiligen Bevölkerungen verwurzelt ist.
Kosten und Nutzen: Am Ende leidet die Zivilbevölkerung
Die aktive Teilnahme am Nahostkonflikt durch Angriffe auf den Schiffsverkehr als auch Israel transportieren in diesem Kontext eine zweifache Botschaft: Nach innen, um der eigenen Klientel Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und die zunehmend massiver auftretenden internen Forderungen nach Verbesserung des Lebensstandards (zum Beispiel durch Gehaltszahlungen, verbesserte Dienstleistungen) Einhalt zu gebieten. Nach außen, um einerseits Saudi-Arabien und anderen Nachbarstaaten militärische Stärke zu signalisieren, was auch die zukünftige Verhandlungsposition weiter festigt. Andererseits vermittelt die Houthi-Bewegung damit auch ihrem wichtigen strategischen Partnerland Iran, dass sie trotz der Verhandlungen mit Saudi-Arabien weiterhin ein gewichtiger Teil der regionalen Achse des Widerstands bleiben wird.
Die Kosten dieser regionalen Eskalation sind immens und umfassen regionale, globale, militärische und ökologische Kosten. Allein die Einnahmen des Suezkanals, für Ägypten die zentrale Einnahmequelle, sind im ersten Quartal 2024 um über 57%, von 2,2 Milliarden auf unter 1 Milliarde US-Dollar gesunken. Die größten Leidtragenden sind aber weiterhin die jemenitische Bevölkerung. Nach Angaben des Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs – OCHA) sind 18.2 Millionen Jemenitinnen und Jemeniten, mehr als die Hälfte der Bevölkerung, von humanitärer Unterstützung und Schutzmaßnahmen abhängig. Aufgrund der Eskalation im Roten Meer, der Verhaftung zahlreicher UN- und NGO-Angestellter - oft aufgrund fadenscheiniger Spionagevorwürfe - und Kürzungsmaßnahmen seitens der Geberländer ist die Bevölkerung im Norden besonders stark betroffen.
Wie geht es weiter in Jemen?
Gibt es eine Chance für eine Wiederaufnahme eines UN-geführten Verhandlungsprozess zwischen den jemenitischen Parteien? Berechtigterweise ist die Skepsis auf allen Seiten sehr groß. Die Houthi-Bewegung hat erklärtermaßen weiterhin ein Interesse an der Umsetzung der vor allem mit Saudi-Arabien vereinbarten Regelungen. Eine Deeskalation im Roten Meer wäre demnach an einen Waffenstillstand in Gaza und die Wiederaufnahme von Verhandlungen gekoppelt. Aber sowohl Nachbarstaaten als auch internationale Schlüsselakteure wie die USA und Großbritannien haben ihr Vertrauen in die Verlässlichkeit der Houthi-Bewegung verloren und scheinen wenig gewillt, wieder zu früheren Verhältnissen zurückzukehren.
Auf der anderen Seite bleibt eine rein militärische Lösung des Konflikts unrealistisch. Auch die Houthi-Bewegung wird das Land, und vor allem die Gebiete des früheren Südjemen, nicht einseitig einnehmen und nachhaltig befrieden können. Eine weiter fortschreitende Fragmentierung des Landes ist nicht im Sinne der jemenitischen Bevölkerung, die ohnehin auf viele Basisdienstleistungen verzichten muss. Aber auch die Golfregion wird sich eine mit fortschreitender Instabilität verstetigende Bedrohung der regionalen Sicherheitslage nicht leisten wollen.
Was streben die UN, die EU und Deutschland an?
Eine politische Lösung erfordert Nachbesserungen des UN-Fahrplans. Dieser ist nach wie vor inhaltlich relevant, muss aber im Detail weiter (und mit Einbeziehung der jemenitischen Regierung) ausgearbeitet werden. Um erneut Vertrauen in einen Verhandlungsprozess zu generieren, sind darüber hinaus robuste regionale und internationale Sicherheitsgarantien und Unterstützungsleistungen erforderlich. Da dies nur teilweise im Mandat des UN-Sondergesandten liegt, könnte die Formierung einer Kontaktgruppe wichtig sein; allerdings sollte diese alle regionale Schlüsselakteure einbinden.
Aus Sicht Deutschlands und der EU ist eine weitere Unterstützung jemenitischer Verhandlungen sinnvoll, da Stabilität in der Golfregion und im Roten Meer wichtige strategischen Interessen darstellen. Neben klaren Prinzipien sind dazu ein hohes Maß an Pragmatismus und Beharrlichkeit von Nöten. Die Anerkennung jemenitischer Akteure sollte dabei vor allem auf der Grundlage erfolgen, dass diese in ihren Handlungen stabilitätsfördernd und deeskalierend wirken. Ein klarer Fokus sollte zudem weiterhin auf Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der jemenitischen Bevölkerung liegen.
Dr. Oliver Wils ist Leiter der MENA Abteilung der Berghof Foundation und seit 2012 mit Unterstützung des Auswärtigen Amts, der EU und des schwedischen Außenministeriums in Jemen sowie der Golfregion aktiv, um die UN und jemenitische Parteien bei ihren Friedensbemühungen zu unterstützen.