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Jemen: regionale Eskalation im Roten Meer und mögliche Lösungs­ansätze

Brennende Öltanker im Roten Meer, Drohnenangriffe auf Tel Aviv, Verhaftungs­wellen von UN- und NGO-Angestellten in Sanaa: Es sind vor allem negative Schlagzeilen, die Berichte zu Jemen beherrschen. Dabei schien noch im Dezember vergangenen Jahres der Beginn eines Friedens­prozesses zum Greifen nah.

Der UN-Sondegesandte des UN-Generalsekretärs für Jemen, Hans Grundberg, hält eine Rede im UN-SIcherheitsrat, vor ihm steht sein Schild..
Der UN-Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für Jemen Hans Grundberg im UN-Sicherheitsrat. (UN Photo/Eskinder Debebe)

Der Sonder­gesandte des General­sekretärs für Jemen (Special En­voy of the Se­cre­tary-Ge­neral for Yemen) Hans Grundberg konnte damals verkünden, dass sich die beiden Kontrahenten auf einen Fahrplan zu Friedens­gesprächen geeinigt hätten. Seit 2011 kämpfen in Jemen die im Norden herrschende Houthi-Bewe­gung (offiziell: Ansar Allah; Houthi ist der Name der Gründungs­familie) auf der einen und die vor allem den Süden kontrol­lierende jemenitische Regierung auf der anderen Seite um die Herrschaft.

Ermöglicht wurde dieser UN-Fahrplan durch eine grundsätzliche Übereinkunft zwischen der Houthi-Bewe­gung und Saudi-Arabien, nach jahre­langen intensiven bilateralen Verhandlungen und teilweise vermittelt durch Oman. Die UN spielten hier eher eine Nebenrolle, da das Mandat des Sonder­gesandten vor allem auf die Unterstützung eines inner­jemenitischen Dialogs fokussiert. Diese Verständigung umfasst wichtige Prinzipien des Friedens­prozesses und kommt Schlüssel­forderungen der Houthis weit entgegen. Dazu gehören die weitere Öffnung von Flug- und Seehäfen im Norden des Landes, Gehalts­zahlungen für Staatsbedienstete und Militärs durch Öl- und Gasein­nahmen (temporär auch durch saudische Unterstützungs­zahlungen abgedeckt) und der Rückzug aller ausländischen Kämpfer. Die jemenitische Regierung und die Vereinigten Ara­bischen Emirate, die neben Saudi-Arabien zu den Haupt­unterstützern der Regierung zählen, waren allerdings kaum in diesen Verhandlungs­prozess eingebunden.

Gründe für die Eskalation im Roten Meer

Wenn der Houthi-Bewegung also eine durchaus attraktive Friedens­perspektive in Aussicht gestellt wurde, warum eskalieren sie dann den Konflikt derart und greifen sowohl Handels­schiffe im Roten Meer als auch Israel an? Die Gründe hierfür dürften vorrangig in der ideologischen als auch oppor­tunistischen Natur der Bewegung selbst liegen: 

Die Houthi-Bewe­gung entstand in den 1990er-Jahren als Reaktion der Zaidi­tinnen und Zaiditen - eine eigentlich moderate schiitische Gruppierung im Norden des Jemen, die etwa 40% der jemenitischen Gesamtbevölkerung stellt - auf ihre vermeintliche politische und kulturelle Ausgrenzung. Neben traditio­nalistischen Gruppen setzt sie sich aber auch aus revolutio­nären Kräften und einem ideologischen islamis­tischen Kern zusammen. Vor allem von den beiden letzteren Akteuren wird der Nahost-Konflikt sowohl als religiöser Konflikt als auch als Teil des regionalen Wider­stands gegen Israel und darüber hinaus gegen die USA gesehen. Die aktive Beteiligung am Nahost-Konflikt unterstreicht insofern eine grundlegende Ambition der Houthi-Bewegung, eine Führungs­rolle in der islamischen Welt einzu­nehmen. 

Damit einhergehend bietet die aktive militärische Unter­stützung der palästi­nensischen Hamas aber auch die Gelegenheit, Sympathien in Jemen und darüber hinaus in der Region zu erlangen. Die Bewegung instrumen­talisiert weitver­breitete Ressentiments. Und tatsächlich gibt es wenig Kritik am Vorgehen der Houthis aus der arabischen und islamischen Welt, da die Solidarität mit Palästina tief in den jeweiligen Bevölkerungen verwurzelt ist.

Kosten und Nutzen: Am Ende leidet die Zivil­bevölkerung

Die aktive Teilnahme am Nahost­konflikt durch Angriffe auf den Schiffsverkehr als auch Israel transportieren in diesem Kontext eine zweifache Botschaft: Nach innen, um der eigenen Klientel Entschlossenheit und Handlungs­fähigkeit zu demonstrieren und die zunehmend massiver auftretenden internen Forderungen nach Verbesserung des Lebens­standards (zum Beispiel durch Gehaltszahlungen, verbesserte Dienst­leistungen) Einhalt zu gebieten. Nach außen, um einerseits Saudi-Arabien und anderen Nachbar­staaten militärische Stärke zu signalisieren, was auch die zukünftige Verhandlungsposition weiter festigt. Andererseits vermittelt die Houthi-Bewegung damit auch ihrem wichtigen strategischen Partnerland Iran, dass sie trotz der Verhandlungen mit Saudi-Arabien weiterhin ein gewichtiger Teil der regionalen Achse des Widerstands bleiben wird.

Die Kosten dieser regionalen Eskalation sind immens und umfassen regionale, globale, militärische und ökologische Kosten. Allein die Einnahmen des Suezkanals, für Ägypten die zentrale Einnahme­quelle, sind im ersten Quartal 2024 um über 57%, von 2,2 Milliarden auf unter 1 Milliarde US-Dollar gesunken. Die größten Leidtragenden sind aber weiterhin die jemenitische Bevölkerung. Nach Angaben des Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Office for the Coordination of Humani­tarian Affairs – OCHA) sind 18.2 Millionen Jemenitinnen und Jemeniten, mehr als die Hälfte der Bevölkerung, von humani­tärer Unterstützung und Schutzmaß­nahmen abhängig. Aufgrund der Eskalation im Roten Meer, der Verhaftung zahlreicher UN- und NGO-Angestellter - oft aufgrund faden­scheiniger Spionagevorwürfe - und Kürzungs­maßnahmen seitens der Geberländer ist die Bevölkerung im Norden besonders stark betroffen.

Wie geht es weiter in Jemen?

Gibt es eine Chance für eine Wiederaufnahme eines UN-geführten Verhandlungs­prozess zwischen den jemenitischen Parteien? Berechtigter­weise ist die Skepsis auf allen Seiten sehr groß. Die Houthi-Bewegung hat erklärtermaßen weiterhin ein Interesse an der Umsetzung der vor allem mit Saudi-Arabien vereinbarten Regelungen. Eine Deeskalation im Roten Meer wäre demnach an einen Waffen­stillstand in Gaza und die Wiederaufnahme von Verhandlungen gekoppelt. Aber sowohl Nachbarstaaten als auch internationale Schlüssel­akteure wie die USA und Großbritannien haben ihr Vertrauen in die Verlässlichkeit der Houthi-Bewegung verloren und scheinen wenig gewillt, wieder zu früheren Verhältnissen zurückzukehren. 

Auf der anderen Seite bleibt eine rein militärische Lösung des Konflikts unrealistisch. Auch die Houthi-Bewegung wird das Land, und vor allem die Gebiete des früheren Südjemen, nicht einseitig einnehmen und nachhaltig befrieden können. Eine weiter fortschreitende Fragmen­tierung des Landes ist nicht im Sinne der jemenitischen Bevölkerung, die ohnehin auf viele Basisdienst­leistungen verzichten muss. Aber auch die Golfregion wird sich eine mit fortschreitender Instabilität verstetigende Bedrohung der regionalen Sicher­heitslage nicht leisten wollen.

Was streben die UN, die EU und Deutschland an?

Eine politische Lösung erfordert Nachbes­serungen des UN-Fahrplans. Dieser ist nach wie vor inhaltlich relevant, muss aber im Detail weiter (und mit Einbeziehung der jemenitischen Regierung) ausgearbeitet werden. Um erneut Vertrauen in einen Verhandlungsprozess zu generieren, sind darüber hinaus robuste regionale und internationale Sicherheits­garantien und Unterstützungs­leistungen erforderlich. Da dies nur teilweise im Mandat des UN-Sondergesandten liegt, könnte die Formierung einer Kontaktgruppe wichtig sein; allerdings sollte diese alle regionale Schlüsselakteure einbinden.

Aus Sicht Deutschlands und der EU ist eine weitere Unterstützung jemenitischer Verhandlungen sinnvoll, da Stabilität in der Golfregion und im Roten Meer wichtige strate­gischen Interessen darstellen. Neben klaren Prinzipien sind dazu ein hohes Maß an Pragmatismus und Beharrlichkeit von Nöten. Die Anerkennung jemenitischer Akteure sollte dabei vor allem auf der Grundlage erfolgen, dass diese in ihren Handlungen stabilitäts­fördernd und deeskalierend wirken. Ein klarer Fokus sollte zudem weiterhin auf Maßnahmen zur Verbes­serung der Situation der jemenitischen Bevölkerung liegen. 

Dr. Oliver Wils ist Leiter der MENA Abteilung der Berghof Foundation und seit 2012 mit Unter­stützung des Auswär­tigen Amts, der EU und des schwedischen Außen­ministeriums in Jemen sowie der Golfregion aktiv, um die UN und jemenitische Parteien bei ihren Friedens­bemühungen zu unterstützen.  

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