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Sudan am Abgrund

2023 begann der Bürgerkrieg in Sudan, eine humanitäre Katastrophe war die Folge. Der Kampf um die Kontrolle des Staates scheint keine Grenzen zu kennen, mit brutalen Konsequenzen für die Bevölkerung. Die internationale Öffentlichkeit zeigt trotz des Ausmaßes an Leid nur wenig Interesse an Sudan.

Ein abgebrochenes Stück eines Mörsergeschosses liegt auf einem sandigen Boden.
Überreste eines Mörsergeschosses im Al-abassi Camp in Sudan (UN Photo/Albert Gonzalez Farran)

Hintergrund des Krieges ist der Machtkampf zwischen den Sudanese Armed Forces (SAF) unter General und de facto Staatoberhaupt Abdel Fattah al-Burhan; und der paramilitärischen, aber ebenfalls staatlichen Miliz der Rapid Support Forces (RSF) unter dem Anführer Mohammed Hamdan Daglo, häufig auch Hemeti genannt. Der langjährige Diktator Omar al-Baschir, gegen den nach wie vor ein Haftbefehl des Internationalen Straf­gerichtshofs in Den Haag (International Criminal Court - ICC) gilt, hatte die RSF noch 2018 zu seiner persönlichen Schutztruppe bestimmt. Im Zuge der sich ausbreitenden Proteste wurde er 2019 von dem Militär gestürzt, die Macht übernahm ein Militärrat unter al-Burhan mit Daglo als Stellvertreter.

Auslöser des Bürgerkriegs vor zwei Jahren war der Plan, die RSF zu einem Teil der SAF zu machen und sie in deren Kommandostruktur einzubinden, wogegen der machtbewusste Daglo die Waffen erhob. Neben den beiden genannten Hauptakteuren sind noch eine Reihe weiterer bewaffneter Gruppierungen an dem Konflikt beteiligt. Zudem versuchen verschiedene Staaten, insbesondere die Vereinigten Arabischen Emirate, Russland, Äthiopien, zunehmend auch Iran Einfluss auf die Kriegshandlungen zu nehmen, durch Waffen­lieferungen oder finanzielle Unterstützung. Einige sind direkt involviert, durch die Kontrolle von Goldminen, wie etwa die Gruppe Wagner.

Humanitäre Folgen

Im Zuge der Kriegs­handlungen werden allen Seiten Brüche des humanitären Völkerrechts vorgeworfen. Regelmäßig kommt es zu Gräueltaten und Massakern an der Zivilbevölkerung. Zuletzt griffen Mitte April, gewissermaßen zum Jahrestag des Kriegsausbruchs, die RSF-Milizen das Zamzam-Lager, das größte Flüchtlingslager des Landes, an. Über 300 Menschen wurden getötet, bis zu 400.000 Menschen mussten fliehen. Die humanitäre Lage im Land ist schlicht katastrophal, laut UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher „wütet eine Epidemie der sexuellen Gewalt“. Insgesamt sprechen die UN von der „verheerendsten humanitäre und Vertreibungskrise weltweit“. Landesweit sind über 12 Millionen Menschen vertrieben worden, zudem befinden sich Millionen weitere Menschen in den Nachbarstaaten. Die meisten Schulen sind geschlossen und überall mangelt es an medizinischer Versorgung. Vor allem grassiert der Hunger: Zwei Drittel der Bevölkerung sind auf Nothilfe angewiesen, in Teilen des Landes droht eine Hungersnot.

Der Rückzug der USA

Die Entscheidung der Trump-Regierung, der US-Entwicklungs­zusammen­arbeitsbehörde (United States Agency for International Development – USAID) die finanzielle Unterstützung zu entziehen und sie damit faktisch aufzulösen, trifft Sudan folglich besonders hart. Die USA sind, wie bislang an vielen Orten der Welt, auch in Sudan der wichtigste Zahler von Entwicklungs- beziehungsweise Nothilfe. Wie die New York Times schreibt, flossen im Jahr 2024 aus den USA 830 Millionen US-Dollar an Nothilfe in den Sudan, womit 4,4 Millionen Menschen geholfen werden konnte. Der komplette Stopp an Untersützung für USAID hat etwa zur Folge, dass über 300 Gemeinschaftsküchen im Land von heute auf morgen schließen mussten – in einem Land, in dem der Hunger schon mehr als die Hälfte der Bevölkerung betrifft. Zwar behauptet die US-Regierung, dass überlebensnotwenige Hilfe noch geleistet würde und dass vier Millionen Menschen in Sudan und knapp ebenso vielen geflüchteten Menschen in den Nachbarländern noch geholfen werde. Hilfs­organi­sationen berichten jedoch, dass Zahlungen jüngst nur spärlich und unregelmäßig flossen. Was nicht überrascht: Von ehemals 10.000 Beschäftigen von USAID sollen nur noch 15 übrigbleiben 

Deutschlands Rolle

Auf der Sudan-Konferenz am 15. April, die von Großbritannien, Frankreich, Deutschland, der EU und der Afrikanischen Union gemeinsam in London ausgerichtet wurde, gab es Zusagen der teilnehmenden Staaten, Hilfsgelder zu Verfügung zu stellen. Die knapp eine Milliarde Euro – 125 Millionen Euro davon aus Deutschland und etwas mehr als die Hälfte davon aus der EU und ihren Mitgliedstaaten – wird die Lücke, die USAID hinterlässt, allerdings nicht schließen können. Schon im Februar hatten der UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher sowie Filippo Grandi, Hoher Flüchtlingskommissar, einen Hilfsaufruf für Sudan über sechs Milliarden US-Dollar an die Weltgemeinschaft gerichtet. Allein für die akute Nothilfe fehlen also weiterhin Milliarden. 

Deutschland spielt bereits jetzt eine herausgehobene Rolle bei der Bereitstellung von Mitteln für die Entwicklungs­zusammenarbeit weltweit. Nach Zahlen des Washingtoner Think Tanks Center for Global Development (CGD) ist die Bundesrepublik auch in Sudan nach den USA der wichtigste Zahler in diesem Bereich. Während bei den Koalitions­verhandlungen die Auflösung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beziehungsweise seine Eingliederung in das Auswärtige Amt verhindert wurde, ist mit einer Kürzung der Mittel in Zukunft zu rechnen. Das CGD sieht für Deutschland vor allem Potential, Mittel umzustrukturieren und stärker auf besonders arme Länder zu konzentrieren

Die UN zwischen Nothilfe und politischer Vermittlung

Trotz widrigster Umstände sind zahlreiche UN-Organisationen im Land aktiv: Das Welternährungsprogramm (World Food Programme – WFP), das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (United Nations Children’s Fund – UNICEF), das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (Office of the United Nations High Commissioner for Refugees – UNHCR), die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO) und das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs – OCHA) leisten täglich Überlebenshilfe – oft unter Einsatz des eigenen Lebens.

Gleichzeitig ist die politische Präsenz der UN geschwächt. Die Integrierte Hilfsmission der Vereinten Nationen für den Übergang in Sudan (United Nations Integrated Transition Assistance Mission in the Sudan – UNITAMS), die 2020 mit dem Mandat gestartet war, den Übergangsprozess zu begleiten, wurde Ende 2023 auf Wunsch der sudanesischen Militärführung eingestellt, der UN-Sondergesandte Volker Perthes musste das Land verlassen. Die diplomatischen Bemühungen verlagerten sich auf regionale Formate, etwa unter Vermittlung der Afrikanischen Union oder durch saudisch-amerikanische Gespräche in Jeddah – bislang mit wenig Erfolg.

Die Spaltung Sudans

Inzwischen droht eine weitere Spaltung Sudans. Nach einem langen, blutigen Bürgerkrieg wurde 2011 der rohstoffreiche Südsudan zu einem unabhängigen Staat, was bislang aber kaum zu einer beschleunigten sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen hat. Von 2013 bis 2018 befand sich der junge Staat zudem selbst in einem Bürgerkrieg, welcher durch jüngste Ereignisse wieder zu entfachen droht. Man kann also davon ausgehen, dass eine Aufteilung des Territoriums auch kein Ende des Konflikts für die Republik Sudan bringen würde – im Gegenteil. „Es sollte nicht schwer sein, in ganz Afrika und im Nahen Osten einen Konsens zu finden, dass ein Staatszerfall in niemandes Interesse ist,“ – meinte Alex de Waal von der World Peace Foundation vor einem Jahr. Doch selbst dieses Minimalziel droht nun aus dem Blick zu geraten. Es ist höchste Zeit, neben der Sicherstellung der humanitären Versorgung der Bevölkerung auch die Anstrengungen in Richtung einer politisch-diplomatischen Lösung in Angriff zu nehmen.

Timon Mürer

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