Menü

Still­stand im West­sa­hara­kon­flikt: Wie geo­po­li­tische Interes­sen das Völ­ker­recht blo­ckie­ren

Die UN bewegen sich im Westsahara­konflikt im Spannungs­feld zwischen Völkerrecht und Realpolitik - und scheinen zunehmend durch die geopo­litischen Interessen ihrer Mitglied­staaten gelähmt. Auch die Sitzungen im Sicherheitsrat zur UN-Friedens­mission MINURSO wurden Ende Oktober davon überschattet.

Ein Patroullienfahrzeug der MINURSO steckt im Sand in der Wüste fest, zwei Männer in Uniformen schieben das Auto an.
Ein Patrouillenfahrzeug der MINURSO steckt im Sand fest. (UN Photo/Marine Perret)

Seit dem Abzug Spaniens als Kolonial­macht 1976 stehen Marokko und die bewaffnete Unab­hängigkeits­bewegung der Westsahara, die Polisario, in Konflikt um die Souveränität des Gebietes. Dennoch ist nach fast 50 Jahren noch immer keine Lösung in Sicht, obwohl die Mission der Vereinten Nationen für das Referen­dum in Westsahara (United Nations Mission for the Referendum in Western SaharaMINURSO) seit 1991 im Einsatz ist. Auch die deutsche Bundes­wehr ist seit 2013 daran beteiligt.

Der Sicher­heitsrat befasst sich jährlich mit dem Mandat für die Friedens­mission in der Westsahara. In den vergan­genen Jahrzehnten ist das Mandat der MINURSO dabei im Kern stets dasselbe geblieben. Ihre Hauptaufgaben sind die Überwachung des Waf­fenstill­standes und die Durchführung eines Referendums. Bei den Verhand­lungen im Sicherheitsrat Ende Oktober 2024 wagte Algerien nun jedoch einen Vorstoß: das Mandat der MINURSO solle auf die Beobachtung der Menschen­rechtslage vor Ort ausgeweitet werden. 

Auf­kün­di­gung des Waf­fen­still­stands nach fast 30 Jahren

Seit 1987 teilt ein von Marokko errichteter 2.700 Kilometer langer Sandwall das Gebiet der Westsahara: zwei Drittel kontrolliert Marokko, das östliche Drittel die Polisario (kurz für: Frente Popular para la Liberación de Saguía el-Hamra y Río de Oro). Zwischen 1976 und 1991 führten Marokko und die Polisario Krieg gegeneinander, bis die UN gemeinsam mit der Organisation der Afrikanischen Einheit (Organization of African Unity – OAU) einen Regelungsplan mit den Konflikt­parteien aushandelten. Ein Waf­fen­still­stand trat in Kraft. Der Plan sah außerdem ein Referendum vor, bei dem die Bevölkerung des Gebiets entscheiden sollte, ob sie unabhängig werden oder Teil Marokkos sein wollte. Dieses Referendum wurde aber bisher nicht abgehalten und die Polisario kündigte 2020 nach einem Einsatz der marok­kanischen Armee den Waf­fen­stillstand, der zu dem Zeitpunkt seit fast 30 Jahren bestanden hatte, auf. Die Situation scheint festge­fahrener denn je. 

Auch der Vorschlag Algeriens im Sicherheitsrat Ende Oktober hatte keinen Erfolg, da nur vier weitere Länder dafür stimmten, unter ihnen China als einzige Vetomacht des Sicherheitsrates. Die übrigen Rats­mitglieder enthielten sich. Die Resolution 2756 des Sicherheits­rats vom 31. Oktober 2024 bringt kaum Neuerungen für die Situation in der Westsahara. Stattdessen verdeutlicht sie, wie sich Völkerrecht und realpolitische Interessen bei der Konfliktlösung gegenüber stehen. Vor allem bei der Polisario führt dies zu Frustration. Expertinnen und Experten fürchten, dass die Polisario nach der Aufkündigung des Waffenstillstandes 2020 den Konflikt noch weiter eskalieren könnte. 

Kein Men­schen­rechts­man­dat für die MINURSO

Als Nachbarland Marokkos und Heimat für über 165.000 geflüchtete Sahraui spielt Algerien eine wichtige Rolle im Konflikt. Im Sicherheitsrat trat Algerien deshalb dafür ein,  das MINURSO-Mandat auf die Überwachung der Menschenrechtslage auszuweiten. Auch UN-Generalsekretär António Guterres rief die Konfliktparteien in seinem Bericht zur Situation in der Westsahara vom Oktober 2024 zu mehr Kooperation mit dem Hohen Kommissariat für Menschenrechte (Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights – OHCHR) auf. Das OHCHR hat seit neun Jahren keinen Zugang zum Konfliktgebiet, um unabhängige Informationen zu sammeln und die Menschenrechtslage zu beobachten. Spätestens seit dem Ende des Waffenstillstands 2020 häufen sich Berichte über Überwachung und Verhaftungen von Menschen­rechtsaktivistinnen und –aktivisten. 

Vor der Abstimmung über Algeriens Änderungsvorschläge machte Amar Bendjama, Algeriens Ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen, deutlich, dass seiner Meinung nach bei der Abstimmung die Legitimität des Rates im Bereich der Menschenrechte in Frage stehe. Dennoch bekam der Vorschlag Algeriens keine Mehrheit im Sicherheitsrat, sodass die MINURSO weiterhin kein Mandat zur Beobachtung der Menschenrechtslage im Konfliktgebiet hat. 

Die neue Resolution, die den Einsatz der MINURSO vorerst bis zum 31. Oktober 2025 verlängert, wurde mit 12 Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen angenommen. Algerien nahm nicht an der Abstimmung teil, weil seine Vorschläge „absichtlich ignoriert“ worden seien. Expertinnen und Experten befürchten, dass die Haltung der westlichen Ratsmitglieder das nordafrikanische Land nun in engere Kooperation mit Russland drängen könnte.

Zwischen Recht und Reali­tät: Auch manche EU-Staaten erken­nen Marokkos An­sprüche auf die West­sa­hara an

Dass Algerien das Verhalten des Sicherheits­rates in Frage stellt, scheint angesichts der deutlichen völker­rechtlichen Lage nicht weit hergeholt. Nach Artikel 73 der UN-Charta ist die West­sahara immer noch ein Hoheitsgebiet ohne Selbst­regie­rung – heißt, ohne staatliche Struktur. Das Völker­recht garantiert den Sahraui das Recht auf Selbst­bestim­mung, das in einem geplanten Referendum umge­setzt werden sollte. Doch die letzte Resolution, in der der Sicherheitsrat ein Referendum ausdrücklich unterstützte, stammt aus dem Jahr 2001. Statt­dessen nimmt der Sicherheitsrat Marokkos Autonomievorschlag zur Kenntnis, der eine Eingliederung der Westsahara in das Königreich vorsieht. Trotz des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofes (International Court of Justice - ICJ) von 1975, das Marokkos terri­torialen Ansprüche ablehnt, erkennen immer mehr Staaten die Souveränität Marokkos über die Westsahara – und somit Marokkos Autonomie­vorschlag –  an. 

Auch die Interessen der Europä­ischen Union (EU) stoßen an die Grenzen des Völkerrechts. Ein Urteil des Euro­päi­schen Gerichts­hofs (EuGH) vom 4. Oktober 2024 bestätigte erneut, dass Marokko keine Souveränität über die West­sahara ausübt und Handels­abkommen, die ihre Ressourcen einschließen, rechtswidrig sind. Dennoch erkennen mit Frankreich und Spanien auch zwei EU-Mit­glied­staaten Marokkos Souveränität über die Westsahara an. Dieser Haltungs­wechsel scheint von politischen Interessen geleitet zu sein, die wenig bis nichts mit dem eigentlichen Konflikt zu tun haben.

SADR = Sahrawi Arab Democratic Republic (Quelle: Security Council Report)

Diplo­ma­tische Tausch­ge­schäf­te 

2020 waren die USA der erste Staat, der Marokkos Sou­veränitäts­anspruch über die West­sahara anerkannte.  Dieser Schritt sollte nicht dem Frie­dens­prozess in der West­sahara dienen, sondern verhalf der Regierung Trump zu einem anderen außen­politischen Erfolg:  Im Gegen­zug erkannte Marokko als vierter mehr­heitlich musli­mischer Staat Israel an

2022 folgte Spanien diesem Beispiel und im Sommer dieses Jahres auch Frankreich. Beide Staaten bewerten Marokkos Autonomie­vorschlag als gute Lösung. Für die Polisario und Algerien sind die Entscheidungen der ehemaligen Kolonial­mächte Spanien und Frankreich ein erschütternder Schritt. Beide kritisierten die europäischen Staaten dafür scharf. Auch die Zuge­ständnisse der beiden EU-Staaten sind nicht durch ihren Friedens­willen motiviert. Vielmehr sitzt Marokko als Transit­land auf der Flucht nach Europa vom afrikanischen Kontinent aus am längeren Hebel. Durch den Grenzverlauf, den das Königreich mit Spanien teilt, ist die Flucht durch Marokko ein Weg, die tödlichste Flüchtlings­route der Welt durch das Mittelmeer zu umgehen. Durch die Kooperation im Grenz­schutz nutzt Marokko seine Rolle als Schlüssel­figur in der Mi­grations­politik, um seine Position im Westsahara­konflikt zu stärken. Wie das Verhalten der EU-Staaten zeigt: mit Erfolg.

Keine Aus­sicht auf Frieden? 

Zwar geben die Sahraui die Idee des Referendums und ihr völker­rechtlich garantiertes Recht auf Selbst­bestim­mung nicht auf, doch das Verhalten des Sicherheitsrates sowie einiger EU-Mitgliedstaaten zeigt, dass realpolitische Interessen völker­rechtlichen Prinzipien vorge­zogen werden.  Mit Frankreich und den USA hat Marokko zwei Veto­mächte an seiner Seite, die seinen Autonomie­vorschlag trotz des Rechts auf Selbstbe­stimmung der Sahraui und des Gutachtens des ICJ unterstützen. Während Marokko schwerge­wichtige Partner an sich bindet, schwindet die Hoffnung der Sahraui, ihr Recht auf Selbstbe­stimmung ausüben zu dürfen. 

Angesichts der festge­fahrenen Situation ist eine Erweiterung des MINURSO-Mandats und eine klarere Haltung des Sicherheits­rats gegen Marokkos Faustpfand-Politik notwendig. Der Blick in die Zukunft lässt jedoch Gegenteiliges befürchten: Mit einer erneuten Trump-Ad­minis­tration bleibt abzuwarten, ob sich der Sicherheits­rat mit einer Resolution unter Feder­führung der USA weiter Marokkos Position annähert. Gleichzeitig bleibt unklar, ob Algerien seine Position bei den Verhand­lungen zur Westsahara 2025 verstärken wird. Die Aussichten auf einen nach­haltigen Frieden wurden durch die neue Resolution nicht verbessert; vielmehr bewegten sich die UN-Mitglied­staaten weiter auf Marokko zu und entfernten sich so von den völker­rechtlichen Prinzipien.

Dania Schulze

Das könnte Sie auch interessieren


  • West-Sahara

    West-Sahara

    01.02.1976
    West-Sahara: Der Teilungsplan von Madrid - Die Reaktion Algeriens - Die Einschaltung der UNO - Die Aktionen der beteiligten Mächte - Ausblick (4). mehr

  • Westsahara

    Westsahara

    01.10.1988
    Westsahara: Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Algerien und Marokko - Zustimmung Marokkos und der POLISARIO zum Friedensplan des UN-Generalsekretärs - Zeitplan für Referendum unter UN-Aufsicht noch ungewiss - Perez berichtet dem… mehr

  • Westsahara

    Westsahara

    01.02.1986
    Westsahara: UNO wiederholt Referendums-Forderung - Marokko will künftige UN-Debatten boykottieren - Erfolge marokkanischer Erdwall-Strategie (4). mehr